shz.de, 21.03.2015

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Kurdisches Neujahrsfest Newroz : Machtdemonstration der Kurden - „Sie können uns nicht schlagen“

Seit 1999 sitzt PKK-Chef Öcalan in Haft. Wer glaubt, das habe seinen Einfluss geschmälert, irrt. Hunderttausende Kurden feiern ihren „Anführer“ - und buhen den türkischen Präsidenten Erdogan aus.

Diyarbakir | Hätte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK Einfluss auf das Wetter, hätte das Timing am Samstag kaum besser sein können: Als bei der Feier zum kurdischen Neujahrsfest Newroz in der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakir die Botschaft des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan verlesen wird, hört der Regen auf und die Sonne bricht durch die Wolken. Hunderttausende rufen: „Lang lebe unser Anführer Öcalan!“ Die Feier zeigt eindrucksvoll, wie viel Unterstützung die PKK bei den Kurden genießt - und dass Öcalans Einfluss auch nach 16 Jahren in türkischer Haft ungebrochen ist.

Seit gut 30 Jahren kämpft die PKK, zunächst für ein unabhängiges Kurdistan, inzwischen offiziell für weitreichende Autonomie innerhalb der Türkei. Öcalan wirbt in seiner Botschaft am Samstag für Frieden mit der Regierung. Vielen Kurden haben allerdings den Glauben daran verloren, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan es ernst meint mit dem Versöhnungsprozess.

Die zentrale Newroz-Feier in Diyarbakir sendet dabei aus Sicht der PKK und der ihr nahestehenden Partei HDP ein wichtiges Signal aus: dass die Freiheitsbewegung der Kurden weiterhin problemlos die Massen mobilisieren kann. Hunderttausende sind es sicherlich, die zum Newroz-Feld am Rande Diyarbakirs geströmt sind. Die HDP spricht sogar von mindestens 1,5 Millionen Teilnehmern.

Vor der Bühne herrscht wildes Gedränge, junge Männer klettern waghalsig auf Gerüste. Die Menschenmenge erstreckt sich bis zum Horizont. Über den Köpfen ein Meer an Flaggen, die allermeisten davon sind in der Türkei illegal: Sie zeigen etwa das Konterfei Öcalans oder das Symbol der PKK, einen grünen Stern in gelbem Kreis auf rotem Grund. Zum Auftakt der Feierlichkeiten werden linke Kampflieder gespielt, die Internationale dröhnt aus den Boxen.

Manche Kinder, Frauen und Männer haben zu Newroz PKK-Uniformen angezogen, allerdings ohne die Insignien der Organisation und ohne Rangabzeichen. „Ich glaube an diese Uniform“, sagt der 52-jährige Mahmut Duymak, der sie voller Stolz trägt. „Ich glaube an die PKK.“ Andere Besucher des Festes haben sich in den Nationalfarben der Kurden - Grün, Rot, Gelb - herausgeputzt. Ordner haben Plastiküberzüge über ihre Jacken gestreift, auf denen „Plattform für die Freiheit unseres Anführers“ steht.

Zumindest bei den Newroz-Feierlichkeiten in Diyarbakir haben die Kurden ihren Anspruch auf weitgehende Autonomie schon durchgesetzt.

Die Polizei - die sonst bei regierungskritischen Veranstaltungen in der Türkei in bedrohlicher Stärke aufmarschiert - ist nirgends zu sehen. In der Stadt zeugen Wasserwerfer an wichtigen Kreuzungen von den Straßenschlachten, die sich Demonstranten in Diyarbakir immer wieder mit der Polizei liefern: Die Fahrzeuge sind deutlich lädierter als ihre von den Gezi-Protesten strapazierten Pendants in Istanbul.

Die Newroz-Feierlichkeiten am Samstag zeigen auch, wie viel Auftrieb der Sieg der Kurden gegen die Terrormiliz Islamischer Staat in der syrischen Grenzstadt Kobane der PKK gegeben hat - und wie viel Glaubwürdigkeit Erdogan dabei verspielt hat. In Diyarbakir spricht am Samstag Asya Abdullah, die Ko-Vorsitzende der PYD, der syrischen Schwesterpartei der PKK. Sie grüßt die Kämpfer in Syrien, „die Gefangenen der PKK und Anführer Öcalan“. „Der Widerstand in Kobane ist Motivation für alle Kurden“, sagt sie. „Keine Macht, kein Land wird uns schlagen. Sie können uns nicht schlagen.“ Die Massen jubeln, immer wieder skandieren sie „Freiheit für Öcalan“.

Nur zweimal buhen sie am Samstagvormittag: Als ein Redner von der Terrormiliz IS spricht - und als der Name Erdogan fällt. Der Kurde Osman Daban, der der Feier im Publikum beiwohnt, sagt: „Erdogan ist unser größter Feind.“ Der 22-Jährige ist im Kampf um Kobane am Bein verwundet worden und geht an Krücken. Daban gibt wieder, was viele Kurden glauben: dass der Präsident heimlich den IS unterstützt habe.

Erdogan hat die Aussöhnung mit den Kurden als „größtes gesellschaftliches Projekt der Türkei“ bezeichnet. Doch nicht nur seine langanhaltende Weigerung, Unterstützung für die vom IS bedrängten Kämpfer in Kobane zuzulassen, hat sein Image bei den Kurden in der Türkei ruiniert. Dass er damals die PKK mit dem IS gleichsetzte, hat ihm in Diyarbakir ebenfalls keine Freunde gebracht.

Vor wenigen Tagen sagte Erdogan dann, Kurden hätten nicht mehr Probleme als andere Bürger - und dass es keine Kurdenproblematik in der Türkei gebe. Der Ko-Chef der HDP, Selhattin Demirtas, entgegnete, warum dann der von Erdogan selbst betriebene Friedensprozess nötig sei. Auch die 30-jährige Kurdin Fatos, die die Newroz-Feier in Diyarbakir besucht, sagt stellvertretend für viele hier, sie traue Erdogan nicht. „Wir werden immer noch unterdrückt“, meint sie. „Wir wollen in diesem Land leben - aber mit gleichen Rechten.“