Der Standard, 23.03.2015

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Türkische Führung streitet über Kurden

Markus Bernath

Historisches Friedensangebot des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan führt zu Spannungen zwischen Präsident und Regierung

Ankara/Diyarbakir - Er sei keine Schaufensterpuppe, polterte Tayyip Erdogan, als er am vergangenen Wochenende in Denizli im Westen der Türkei einen seiner Dauerwahlkampfauftritte absolvierte. Der türkische Staatspräsident, der landauf, landab für eine Verfassungsänderung und die Einführung eines Präsidialsystems wirbt, gab sich erbost. Erdogan kritisierte erneut Abmachungen, welche die Regierung mit der Kurden- und Linkspartei HDP getroffen hatte, als "undemokratisch".

Nur wenige Stunden zuvor war in Diyarbakir, der inoffiziellen Hauptstadt der Kurden im Südosten der Türkei, ein Brief des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan verlesen worden. Der rief seine Untergrundbewegung zur Niederlegung der Waffen auf.

Öcalans Botschaft zum Newroz-Fest, der Neujahrsfeier der Kurden und Iraner, vor Hunderttausenden von Zuhörern in Diyarbakir war erwartet worden. Seit 2012 führt der türkische Staat Gespräche mit Öcalan und der PKK über eine Beilegung des seit drei Jahrzehnten dauernden bewaffneten Kampfes der Kurden; erste Kontaktrunden gab es schon 2010. Erdogan, damals noch Premier, investierte erhebliches politisches Kapital in diese Verhandlungen.

Streit um Zehn-Punkte-Plan

Ende Februar verständigte sich dann die Regierung bei einem Treffen mit HDP-Politikern auf einen zehn Punkte umfassenden Rahmen für den bis dahin nur schleppend verlaufenden "Lösungsprozess", wie er in der türkischen Politik umschrieben wird. Öcalan ließ bei dieser Gelegenheit schon seinen Aufruf zum Ende des bewaffneten Kampfs ankündigen. Die Einrichtung einer Beobachtergruppe, welche die weiteren Schritte der Verhandlungen begleiten soll, gehört zu den zehn Punkten. Doch Erdogan ist dagegen. Der Prozess soll weiter allein Sache des Geheimdienstes und der Regierung sein.

Vizepremier und Regierungssprecher Bülent Arinç, ein langjähriger politischer Weggefährte Erdogans und wie dieser konservativer Islamist, distanzierte sich daraufhin in noch nicht dagewesener Deutlichkeit vom Präsidenten. Erdogan möge mit der Regierung sprechen und keine Erklärungen auf dem Bildschirm abgeben, die nur ihm selbst schadeten, erklärte Arinç. Unhöflich sei Erdogans Verhalten, fuhr der Vizepremier fort, an der Beobachtergruppe werde festgehalten. Arinç' Auftritte im TV wurden abgesagt.

In Diyarbakir selbst zeigten kurdische Teilnehmer beim Newroz-Fest gemischte Gefühle über Erdogans Rolle, die Regierung und den Brief Öcalans; der PKK-Gründer forderte die Einberufung eines Kongresses, "um den 40 Jahre langen Kampf gegen die Türkische Republik zu beenden".

"Die Leute sagen, wäre Erdogan nicht da gewesen, würde es diesen Friedensprozess nicht geben. Aber in Wirklichkeit hatte Tayyip nur Glück, den richtigen Moment zu erwischen", sagte eine 36-jährige Lehrerin, die ihren Namen aus Furcht vor den Behörden nicht angeben wollte. "Turgut Özal und Erdal Inönü (Özal war Premier und Präsident 1983-93, Inönü Vizepremier, Anm.) haben stärker für den Frieden gearbeitet. Erdogan ist wie ein Chamäleon. Manchmal nimmt er eine gute Farbe an, manchmal eine schlechte. Wenn er Stimmen von der MHP will, sieht er wie sie aus."

Die rechtsnationalistische MHP, die strikt gegen die Verhandlungen mit der PKK ist, hielt zum Newroz-Fest am Samstag demonstrativ ihren Parteitag ab. Devlet Bahçeli, seit 1997 Parteichef, ließ sich wiederwählen.

HDP im Aufwind

Andere in Diyarbakir äußerten sich optimistischer. "Die Richtung stimmt" , sagte Bayram Korkmaz, ein 38-jähriger Kartenzeichner. "Für mich ist die Türkei eine Einheit. Diyarbakir, Istanbul, Yozgat, Aydin - es ist alles dasselbe."

Erdogans Zusammenstoß mit der Regierung beschäftigte die sozialen Medien in der Türkei. Im Juni sind Parlamentswahlen. Die Kurdenpartei HDP könnte dabei 50 bis 70 Sitze erringen und damit Erdogans Plan einer Verfassungsänderung zunichtemachen. (Markus Bernath, DER STANDARD, 23.3.2015)