Saarbrücker Zeitung, 23.03.2015

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Erdogan zeigt sich Kurden als genervter Landesvater

Vor mehr als zwei Jahren setzte Recep Tayyip Erdogan in der Türkei die Friedensverhandlungen mit den Kurden in Gang - jetzt erweckt der türkische Präsident den Anschein, als ob er die Gespräche am liebsten wieder abblasen würde.

Eigentlich lässt der Friedensappell des inhaftierten Rebellenchefs Abdullah Öcalan, der am Wochenende veröffentlich wurde, eine Beilegung des Kurdenkonflikts in greifbare Nähe rücken. Doch Erdogan stellte Kernpunkte in Frage. Sein Bremsmanöver zeigt die Scheu des türkischen Staates vor fundamentalen Veränderungen, um das Kurdenproblem zu lösen. Im Grunde will Erdogan keine Einigung, sondern eine bedingungslose Kapitulation der PKK-Rebellen.

Der Autor Mustafa Akyol schrieb einmal, das Problem mit Erdogans Regierungspartei AKP sei nicht, dass sie zu islamistisch, sondern dass sie zu türkisch sei. Die AKP folgt demnach in wichtigen Bereichen der Tradition eines autoritären Staatsverständnisses, das die Republik über Jahrzehnte geprägt hat. Dazu gehört laut Akyol die Überbetonung eines mächtigen Anführers an der Spitze von Partei und Staat sowie eine äußerst weit gefasste Definition von Terrorismus, die auch gewaltfrei vorgetragene Gedanken einschließt.

Diese Grundauffassungen kollidieren direkt mit der Art von Reformen, zu denen sich Erdogan bereit finden müsste, um das Kurdenproblem endgültig zu lösen. Eine Stärkung der lokalen Selbstverwaltung und die Zulassung des Kurdischen als zweite Amtssprache in Südostanatolien würden aus der Türkei ein anderes Land machen. Erdogan aber teilt die alte Furcht der türkischen Nationalisten vor Minderheiten, die einen Zerfall des Staates auslösen könnten.

Teil dieser Furcht ist das Misstrauen gegenüber den Forderungen der Kurden, die Öcalan am Samstag präzisierte. Der bewaffnete Kampf der von ihm gegründeten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sei nicht mehr zeitgemäß und "nicht durchzuhalten", erklärte Öcalan anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz und stellte eine Entwaffnung der Rebellen in Aussicht. Als Bedingung nannte er demokratische Reformen und mehr Pluralismus. Gefordert wird mehr regionale Selbstverwaltung und die Zulassung des Kurdischen als zweite Amtssprache in Südostanatolien.

Erdogan betont dagegen in jüngster Zeit immer wieder, die Reformen des letzten Jahrzehnts, mit denen unter anderem der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache legalisiert wurde, hätten die Benachteiligung der Kurden bereits beendet. Er frage sich, was die Kurden denn sonst noch alles wollten, sagt der Präsident. Er klingt dabei ganz wie der genervte Landesvater, der seine Kinder in strengen Worten ermahnt, nicht über die Stränge zu schlagen und sich mit dem bisher Erreichten zufrieden zu geben. Doch die Kurden wollen mehr, auch wenn sie das Ziel eines eigenen Staates längst aufgegeben haben.

Der türkische Präsident ist äußerst pragmatisch und zu plötzlichen Wendemanövern fähig. Möglicherweise kehrt Erdogan nur wegen der anstehenden Parlamentswahl am 7. Juni den Nationalisten heraus, um sich anschließend für Kompromisse zu öffnen. Wahrscheinlicher ist aber, dass der Staatschef tatsächlich der Meinung ist, dass substanzielle Zugeständnisse an die Kurden die Existenz der Türkei gefährden würden.