Sächsische Zeitung, 23.03.2015

http://www.sz-online.de/nachrichten/sie-koennen-uns-nicht-schlagen-3064798.html

„Sie können uns nicht schlagen“

Seit 1999 sitzt PKK-Chef Öcalan in türkischer Haft. Seinen Einfluss auf die autonomiewilligen Kurden schmälert das nicht.

Von Can Merey

Hätte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK Einfluss auf das Wetter, wäre das am Sonnabend kaum besser gewesen: Just als bei der Feier zum kurdischen Neujahrsfest Newroz in der südosttürkischen Kurdenmetropole Diyarbakir die Botschaft des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan verlesen wird, hört der Regen auf und die Sonne bricht durch die Wolken. Hunderttausende rufen: „Lang lebe unser Anführer Öcalan!“ Die Feier zeigt eindrucksvoll, wie viel Unterstützung die PKK bei den Kurden genießt – und dass Öcalans Einfluss auch nach 16 Jahren in türkischer Haft ungebrochen ist.

Seit gut 30 Jahren kämpft die PKK, zunächst für ein unabhängiges Kurdistan, inzwischen offiziell für weitreichende Autonomie innerhalb der Türkei. Öcalan wirbt in einer Botschaft für Frieden mit der Regierung. Viele Kurden haben allerdings den Glauben daran verloren, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan es ernst meint mit dem Versöhnungsprozess.

Die zentrale Newroz-Feier in Diyarbakir sendet aus Sicht der PKK und der ihr nahestehenden Partei HDP ein wichtiges Signal aus: dass die Freiheitsbewegung der Kurden weiter problemlos Massen mobilisieren kann. Hunderttausende sind es sicherlich, die zum Newroz-Feld am Rande Diyarbakirs geströmt sind. Die HDP spricht sogar von 1,5 Millionen Teilnehmern.

Vor der Bühne herrscht wildes Gedränge, junge Männer klettern waghalsig auf Gerüste. Die Menschenmenge erstreckt sich bis zum Horizont. Über den Köpfen ein Meer an Flaggen, die meisten davon sind in der Türkei illegal: Sie zeigen etwa das Konterfei Öcalans oder das PKK-Symbol, einen grünen Stern in gelbem Kreis auf rotem Grund. Linke Kampflieder werden gespielt, die Internationale dröhnt aus den Boxen.

Misstrauen gegen Präsident Erdogan

Zumindest an diesem Tag haben die Kurden ihren Anspruch auf weitgehende Autonomie schon durchgesetzt. Die Polizei – die sonst bei regierungskritischen Veranstaltungen in bedrohlicher Stärke aufmarschiert – ist nirgends zu sehen. Die Feier zeigt auch, wie viel Auftrieb der siegreiche Kampf der Kurden gegen die Terrormiliz Islamischer Staat in der syrischen Grenzstadt Kobane der PKK gegeben hat – und wie viel Glaubwürdigkeit Erdogan dabei verspielt hat. „Die PKK ist so stark wie nie“, sagt Abdullah Demirbas. Der HDP-Politiker war Bürgermeister der Altstadt von Diyarbakir, jetzt kandidiert er für die Parlamentswahl im Juni. Einer seiner Söhne ist bei der PKK. „Während der Kämpfe um Kobane haben sich Tausende junge Menschen der Organisation angeschlossen.“

In Diyarbakir spricht auch Asya Abdullah, die Ko-Vorsitzende der PYD, der syrischen Schwesterpartei der PKK. Sie grüßt die Kämpfer in Syrien, die Gefangenen der PKK und Anführer Öcalan. „Keine Macht, kein Land wird uns schlagen. Sie können uns nicht schlagen.“ Die Massen jubeln. Doch zweimal buhen sie: Als ein Redner von der Terrormiliz IS spricht – und als der Name Erdogan fällt. Erdogan hat die Aussöhnung mit den Kurden als „größtes gesellschaftliches Projekt der Türkei“ bezeichnet. Doch nicht nur seine lang anhaltende Weigerung, Unterstützung für die vom IS bedrängten Kämpfer in Kobane zuzulassen, hat sein Image bei den Kurden in der Türkei ruiniert. Dass er damals die PKK mit dem IS gleichsetzte, hat ihm in Diyarbakir ebenfalls keine Freunde gebracht.

Vor wenigen Tagen sagte Erdogan, Kurden hätten nicht mehr Probleme als andere Bürger – und dass es keine Kurdenproblematik in der Türkei gebe. Der Ko-Chef der HDP, Selahattin Demirtas, entgegnete, warum dann der von Erdogan selbst betriebene Friedensprozess nötig sei. Auch die 30-jährige Kurdin Fatos sagt stellvertretend für viele Festbesucher, sie traue Erdogan nicht. „Wir werden immer noch unterdrückt“, meint sie. „Wir wollen in diesem Land leben – aber mit gleichen Rechten.“