Neue Zürcher Zeitung, 27.03.2015 http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/das-iranische-schachbrett-und-seine-tuecken-1.18511553 Auf dem Weg zu einem Atomdeal Das iranische Schachbrett und seine Tücken Andreas Rüesch Irans mächtigster Geistlicher, Grossayatollah Ali Khamenei, ist ein Meister des strategischen Spiels. Irans mächtigster Geistlicher, Grossayatollah Ali Khamenei, ist ein Meister des strategischen Spiels. (Bild: Keystone / Christian Beutler) Der iranische Grossayatollah
Ali Khamenei hält nichts von fundamentalistischen Eiferern, die jedes
Spiel, und selbst das «königliche», verteufeln. Schach sei kein Verstoss
gegen den Islam, hielt Khamenei in theologischen Lehrmeinungen fest. Wie
könnte es auch anders sein? Irans mächtigster Geistlicher ist selber ein
Meister des strategischen Spiels, zumindest im übertragenen Sinne. Er,
der einst als Leichtgewicht in den grossen Fussstapfen des Imams Khomeiny
belächelt wurde, hält sich nun schon seit über einem Vierteljahrhundert
an der Macht. Der 75-jährige Revolutionsführer ist damit eines der amtsältesten
Staatsoberhäupter der Welt. Geschickt versteht er es, die rivalisierenden
Kräfte innerhalb des Regimes in der Balance zu halten und Irans Macht
in der Region zu mehren. Blickt Khamenei auf sein Schachbrett,
kann er zufrieden sein. Die Bauern – all die internen Rivalen, die seine
Autorität anzweifelten oder Unruhe in der Islamischen Republik stifteten
– stehen ihm nicht mehr im Weg. Manche hat er geopfert, wie seinen früheren
Mitstreiter Mussavi, der mit revoluzzerischen Methoden die Präsidentschaft
erobern wollte; manche hat er auf Felder am Rand abgeschoben. Nun sind
die Linien frei für die Angriffsfiguren. Und wie sie angreifen: Vom Mittelmeer
bis zum Golf von Aden wächst Irans Einfluss von Jahr zu Jahr. In Südlibanon
stellt der schiitische Hizbullah dank iranischer Waffenhilfe eine ständige
Gefahr für Israel dar. In Syrien ist der Diktator Asad zur Marionette
Teherans geworden. Im Irak drängen iranische Revolutionswächter und Iran-treue
Schiitenmilizen die sunnitische IS-Miliz zurück. Hinzu kommt nun auch
noch der Triumph in Jemen, wo die proiranischen Huthi-Rebellen den Grossteil
des Landes überrannt haben. Zugleich sieht Khamenei, wie auf der anderen Seite des Schachbretts die Reihen des Gegners, des grossen Satans Amerika, in Unordnung geraten sind. Traditionell hatten die USA ihre Strategie in der Region auf Allianzen mit Israel und den sunnitischen Regionalmächten abgestützt. Doch Washingtons Verhältnis mit Ankara, Kairo, Riad, sogar mit Jerusalem hat sich abgekühlt und leidet unter ständigem Hader. Unordnung herrscht auch in Washington selber. Kongress und Präsident streiten sich dort in der Frage, wer in der Politik gegenüber Iran das letzte Wort haben soll. Der amerikanische Erzfeind war nie einfach zu verstehen, aber eines ist sicher: Strategische Gestaltungskraft lässt er kaum erkennen. Präsident Obama beobachtet
den Nahen und Mittleren Osten nicht mit den Augen eines Schachspielers,
sondern aus der Perspektive des Basketballers. Dass in dieser Region keine
leichten Punkte zu holen sind, hat er früh erkannt. Stärker als alle seine
Vorgänger seit dem Zweiten Weltkrieg hat er der Innenpolitik Vorrang vor
der Aussenpolitik gegeben. Amerikas Verstrickungen in die Konflikte des
Orients empfindet er als Last und Ablenkung, nicht als zwangsläufiges
Attribut einer Grossmacht mit globalen Ambitionen. So entschloss er sich
2011 zum vollständigen Abzug aus dem Irak und gegen die Entsendung von
Friedenstruppen nach Libyen, obwohl eine Stabilisierung dieser beiden
Länder das Gegenteil erfordert hätte. Eine bereits beschlossene Militäraktion
gegen Asad blies er ab, und sein Kampf gegen die Extremisten des IS wirkt
gemessen an Amerikas Möglichkeiten halbherzig. Das durch die Zurückhaltung
der Amerikaner im nahöstlichen Krisenbogen verursachte machtpolitische
Vakuum wird von Iran begierig ausgefüllt. Vor diesem Hintergrund geht es bei den Atomverhandlungen in Lausanne um weit mehr als nur um den Abschluss eines Rüstungskontrollabkommens. Die entscheidende Frage ist letztlich, ob Irans Anspruch auf Hegemonie im Nahen und Mittleren Osten internationale Anerkennung erhalten soll. Auch wenn Washington dies nie offen zugeben wird, ist der Weg dorthin bereits weitgehend geebnet. Offiziell wird die Administration Obama ein Abkommen als Mittel preisen, um Iran am Bau von Atombomben zu hindern. Aber in Wirklichkeit würde ein solcher Nuklearpakt Iran den Status einer Fast-Atommacht verleihen, mit weitreichenden Folgen für das Kräfteverhältnis in der Region. Kerngedanke der geplanten Übereinkunft ist, Irans Atomprogramm bis 2025 derart einzuschränken, dass das Land in technischer Hinsicht mindestens ein Jahr vom Bau einer Bombe entfernt bliebe. Für das Regime in Teheran wäre eine solche Regelung ein riesiger Erfolg: Erstens könnte es auf diese Weise die internationalen Sanktionen abschütteln und dank der Wiederankurbelung der Erdölexporte seine Kassen füllen. Zweitens wäre damit ein Prestigegewinn verbunden; das Land hätte bewiesen, dass es der Welt die Stirn bieten und allen Uno-Resolutionen zum Trotz seine Urananreicherungsanlagen behalten kann. Drittens bliebe die Option intakt, nach einem Jahrzehnt wieder beschleunigt Kurs auf den Bau von Atombomben zu nehmen. Zehn Jahre sind wenig für ein Land, das sich als Erbe einer mehrtausendjährigen Hochkultur sieht. In Washington ticken die Uhren
jedoch anders. Obama scheint begierig, das Problem Iran abzuhaken und
dem nächsten Präsidenten weiterzureichen. Begründet wird die Kompromissbereitschaft
damit, dass man Iran das atomare Know-how ohnehin nicht mehr entreissen
könne und die Einführung eines strikten Kontrollsystems besser sei als
der Status quo. Ein Berater Obamas äussert zudem die Hoffnung, dass sich
Irans Regime dank einem solchen Abkommen mässigen könnte. Diese Argumentation ist jedoch
voller Widersprüche. Sie vernebelt, dass die Staatenwelt angesichts der
iranischen Renitenz weitgehend kapituliert hat. Stillschweigend lässt
man zu, dass Iran bindende Uno-Resolutionen und Verpflichtungen aus dem
Atomsperrvertrag ignoriert. Doch wenn es schon jetzt am Willen fehlt,
solche Regeln durchzusetzen, wird dies in Zukunft erst recht nicht gelingen.
Denn mit den Sanktionen gibt man das wichtigste Druckmittel aus der Hand.
Dieses Zeichen westlicher Schwäche wäre für Iran kein Anlass zur Mässigung,
sondern Ansporn, nur noch selbstbewusster aufzutreten. Ein Vertrag hätte
dann einen Sinn, wenn Iran glaubwürdig auf die Option Atombombe verzichtete
und ein solcher Vertrag der Anfang für eine strategische Kooperation in
der Region wäre. Davon kann jedoch keine Rede sein. Auf zu vielen Schauplätzen
sind iranische und westliche Interessen konträr. Iran versteht sich als
revolutionäre Macht, die auf das Feindbild USA nicht verzichten kann.
Grossayatollah Khamenei hat somit keinen Grund, die Schachfiguren plötzlich
umzukippen. Längst hat er sie so aufgestellt, dass ihm kein Matt mehr
droht.
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