Frankfurter Rundschau, 27.03.2015

Türkei und Pressefreiheit

„Demokratie in Gefahr“

Von Frank Nordhausen

Report zur Pressefreiheit in der Türkei: Das renommierte Wiener International Press Institute veröffentlicht einen Spezialreport zur Lage der Pressefreiheit. Darin heißt es, die massive Einschränkung der Meinungsfreiheit gefährde die Demokratie.

Es ist wie eine Epidemie, die ihre Opfer unterschiedslos trifft – Alte und Junge, Berühmte und Unbekannte, Schönheitsköniginnen und Putzfrauen, vor allem aber Journalisten. Wer sich kritisch über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan oder andere Amtsträger äußert, wird mit Beleidigungsklagen überzogen, bei denen hohe Geld- und sogar Haftstrafen drohen. Die massive Einschränkung der Meinungsfreiheit durch diese Prozesse und andere Mittel habe inzwischen ein Ausmaß angenommen, das die Demokratie im EU-Beitrittskandidatenland gefährde, erklärte das renommierte Wiener International Press Institute (IPI) in einem dramatischen Spezialreport zur Lage der Pressefreiheit in der Türkei, den es am Freitag publizierte.

Laut dem Report mussten sich bis Januar mehr als 80 Personen, darunter der prominente Journalist Can Dündar und die frühere Miss Turkey Merve Büyüksarac, bereits vor Gericht verantworten, weil der Staatschef sie wegen Beleidigung verklagt hatte. Gewissermaßen passend dazu war am Donnerstag bekannt geworden, dass Erdogan seit seinem Amtsantritt als Präsident im August gegen insgesamt 237 Personen juristisch vorgegangen ist, weil er sich von ihnen beleidigt fühlt, meist durch Kommentare in sozialen Internetmedien wie Facebook, Twitter oder Instagram. Derzeit vergeht praktisch kein Tag, ohne dass in der Türkei Journalisten wegen Beleidigung von Amtspersonen verklagt werden.

Der IPI-Bericht mit dem Titel „Demokratie in Gefahr“ beruht auf Informationen, die Mitarbeiter des 1950 gegründeten Netzwerkes während zahlreicher Besuche in der Türkei in den letzten vier Jahren sammelten, darunter auch in Treffen mit Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu im vergangenen Herbst. Während Erdogan kürzlich öffentlich behauptete, nirgends sei die Presse so frei wie in der Türkei, wirft IPI-Kommunikationsdirektor Steven M. Ellis als Autor des Berichts den türkischen Behörden Versagen beim Schutz und teilweise aktives Untergraben der Meinungsfreiheit vor.

Der Report fasst die wichtigsten Entwicklungen zur Pressefreiheit in der Türkei seit 2003 zusammen, als Erdogan Ministerpräsident einer Regierung der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) wurde. Die Bedrohung der Pressefreiheit geht demnach aus von massivem wirtschaftlichen Druck auf die Medien, einem vergifteten politischen Klima, der Manipulation der rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Regierung, anhaltendem Druck auf die Meinungsfreiheit im Internet und allgemeiner Straflosigkeit für Angriffe auf Journalisten. Im Januar waren in der Türkei laut IPI 22 Journalisten, darunter der Chefredakteur des Fernsehsenders Samanyolu, und zehn Zeitungsverteiler inhaftiert.

Ausführlich geht der Report darauf ein, dass sich der staatliche Druck zunehmend von den traditionellen Medien auf das Internet verlagere, das vielen Türken als letzter Ort freier Meinungsäußerung erscheint. Twitter- und Facebook-Accounts werden blockiert, ein neues Internetgesetz erlaubt der Regierung seit dieser Woche das Abschalten von Webseiten ohne eine richterliche Erlaubnis, die erst 24 Stunden später eingeholt werden muss.

„Die Türkei hat in den letzten Jahren als Teil eines zunehmenden Autoritarismus einen massiven Druck auf die Medien erlebt, der zu einem Klima der Selbstzensur und einer Lage der Pressefreiheit führte, die zu den beunruhigendsten in Europa zählt“, schreibt IPI-Berichtsautor Ellis und betont besonders die „besorgniserregende Zunahme der Beleidigungsklagen von Amtsträgern“. Es sei dringend nötig, die türkischen Gesetze zu reformieren und die demokratischen Standards der Regierungsführung zu verbessern. „Die Türkei nähert sich den Parlamentswahlen im Juni 2015 mit einer tiefen Erosion der Achtung vor den Menschenrechten, eingeschlossen die Meinungs- und Pressefreiheit. Leider ist bei den Regierenden keine echte Änderung ihrer Haltung zu erkennen, was zur Schwächung der Demokratie führt, ein bedrohlicher Kreislauf, der sich täglich verschärft.“
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