spiegel.de, 28.03.2015 http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-staatsanwalt-fuerchtet-um-sein-leben-a-1025496.html Justiz in der Türkei: Vom Staatsanwalt zum Staatsfeind Aus Zonguldak berichtet Hasnain Kazim Staatsanwalt Takci: "Ich verlasse mein vertrautes Umfeld nur noch selten" Als Staatsanwalt ließ Aziz Takci Lastwagen voller Waffen durchsuchen - und blamierte so die türkische Regierung. Seitdem ist er suspendiert und wird bedroht. Besuch bei einem prominenten Justizopfer, das sich verstecken muss. Wer Aziz Takci treffen will, muss ins Ungewisse fahren. "Kommen Sie nach Zonguldak", schreibt er am Tag zuvor per Direktnachricht auf Twitter. Den genauen Treffpunkt nennt er erst wenige Minuten vor dem Termin. Er nutzt den Kurznachrichtendienst, weil er weiß, dass die türkischen Sicherheitsbehörden das nicht so leicht kontrollieren können. Er kennt sich aus: Takci war Strafverfolger für Terrorfälle. In einem Café in einem Vorort der Stadt am Schwarzen Meer, im Norden der Türkei, sitzt ein nachdenklicher Mann mit schütterem Haar. Takci, 40, war bis Januar noch Staatsanwalt. Er ist der Mann, der Anfang 2014 zweimal Lastwagen durchsuchen ließ, die Waffen transportierten: Lieferungen des türkischen Geheimdienstes MIT an Extremisten in Syrien. Als das öffentlich wurde, stand die türkische Regierung blamiert da - und machte Takci dafür verantwortlich. Seither erhält er tausendfach Morddrohungen. In Internetforen und per Twitter wünschen ihm Regierungsanhänger den Tod. Regierungstreue Medien haben ihn zum Staatsfeind erklärt, nennen ihn einen "Verräter". Takci lebt an einem geheimen Ort. "Ich verlasse mein vertrautes Umfeld nur noch selten", sagt er. Hinweise von anonymen Informanten Takci ist ein loyaler Beamter, der in seinem Berufsleben stets den Kontakt zur Presse gemieden hat. Aber jetzt fühlt er sich so ungerecht behandelt, dass er reden will. Begonnen hat alles am 1. Januar 2014. "An dem Tag erhielt ich von der Gendarmerie den Hinweis auf einen Lastwagen voller Waffen", erzählt Takci. Damals war er Anti-Terror-Ermittler in Adana. Takci ging von einem geplanten Anschlag in der Türkei aus. "So etwas hat es ja schon öfter gegeben", zum Beispiel im Mai 2013 in Reyhanli. Er unterschrieb einen Durchsuchungsbefehl. Doch noch bevor die Polizei die Ladung begutachten konnte, waren Geheimdienstleute vor Ort und stoppten die Kontrolle. Knapp drei Wochen später kam wieder ein Anruf von der Gendarmerie, wonach drei Lastwagen voller Waffen unterwegs seien. "Wieder hatten die Sicherheitskräfte einen anonymen Hinweis erhalten", sagt Takci. "Das muss jemand gewesen sein, der genau Bescheid wusste, denn er verriet detaillierte Informationen und kannte sogar die Nummernschilder." Auch dieses Mal gab Takci den Durchsuchungsbefehl. Der Konvoi wurde von einem Auto mit Geheimdienstleuten begleitet, aber da sie kein Schreiben dabei hatten, das ihnen freies Geleit zusicherte, öffneten die Gendarmen die Fracht. Pflicht erfüllt oder der Türkei geschadet? Was war in den Lastwagen, Herr Takci? Und für wen war die Fracht bestimmt? Er lächelt. "Gegen mich läuft ein Disziplinarverfahren wegen der Weitergabe von geheimen staatlichen Papieren. Wenn ich Pech habe, wird auch noch ein Strafverfahren eröffnet. Ich möchte daher dazu lieber nichts sagen." Muss er auch gar nicht. Ein Oppositionspolitiker hat bereits erklärt, die Lastwagen hätten Waffen, Raketen und Munition transportiert, bestimmt für al-Qaida in Syrien. Weitere Informationen gibt es nicht, denn die Regierung hat eine Nachrichtensperre verhängt. Geheime Papiere, die anonyme Hacker im Internet veröffentlichten, bestätigen aber, dass es sich um türkische Waffenhilfe für Extremisten handelt, um damit dem verhassten syrischen Herrscher Baschar al-Assad zu schaden. Stimmt das? "Ich widerspreche dem nicht", sagt Takci. Als Staatsanwalt war er verpflichtet, die Durchsuchung anzuordnen, weil der Verdacht auf eine illegale Handlung vorlag. "Ich habe nichts Falsches getan", sagt Takci. Er schimpft nicht, plaudert keine Gemeinheiten aus, bewertet auch die türkische Politik der Unterstützung von Extremisten nicht. Er verzweifelt, weil man ihn bestraft, obwohl er nur seine Pflicht getan hat. Takci tat es im Dienst für die Republik Türkei, wie er sagt. Die Regierung in Ankara ist überzeugt, er habe dem Land geschadet. Strafversetzt nach Trabzon und Zonguldak Wie ging der Streit um die Lkw Anfang 2014 weiter? Mit einer Intervention von höchster Stelle. Erst als der Gouverneur von Adana persönlich auftauchte, ein Schreiben des Geheimdienstes überreichte und erklärte, der Premierminister persönlich - damals Recep Tayyip Erdogan, heute Staatspräsident - habe den Transport angeordnet, ließ man die Lastwagen weiterfahren. Takci musste gehen. Noch im Januar 2014 wurde er zuerst nach Trabzon strafversetzt, ein halbes Jahr später nach Zonguldak, in die Steinkohlestadt. Vor acht Wochen nun teilte man ihm mit, er sei bis auf Weiteres suspendiert. "Anstatt gegen mich zu ermitteln, Beweise zu haben, dass ich etwas falsch gemacht habe, hat man mich erst suspendiert und ermittelt nun", sagt er. "Man hat die in einem Rechtsstaat übliche Vorgehensweise umgedreht." Takci ist nur ein Beispiel für Hunderte von Fällen in der Türkei. Immer wieder werden Staatsanwälte und Richter unter Druck gesetzt. Weil sie gegen Regierungsmitglieder ermittelt, sie kritisiert oder irgendetwas getan haben, was dem Ansehen der Mächtigen abträglich war. Nahezu alle Juristen, die an den Korruptionsermittlungen gegen hohe Regierungsmitglieder beteiligt waren, haben ihre Posten verloren. Es gibt heikle Fälle, die Staatsanwälte aus Angst nicht mehr bearbeiten. Die Korruptionsermittlungen gegen Politiker wurden längst eingestellt. Die Regierenden haben die Verfahren als Kampagne der Gülen-Bewegung umgedeutet. Jener Organisation, der Erdogan und seine Getreuen unterstellen, Justiz und Polizei unterwandert zu haben und die Regierung stürzen zu wollen. Sind Sie Mitglied der Gülen-Bewegung, Herr Takci? Takci lacht. "Wäre ich das, stünde ich heute wahrscheinlich viel besser da." Er meint: Dann wäre ihm vom Gülen-Netz geholfen worden. Der Vorwurf, dieser Organisation anzugehören, sei "ein Totschlagargument" der Regierung, um jeden Kritiker mundtot zu machen. Dennoch ist Takci hoffnungsvoll, dass die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit am Ende siegen werden in der Türkei. "Alles andere wäre furchtbar", sagt er. Solange das Disziplinarverfahren läuft, erhält Takci zwei Drittel seines Gehaltes. Und versteckt sich vorerst weiter am Schwarzen Meer.
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