Süddeutsche Zeitung, 31.03.2015 "Schritte nach hinten" Europaparlamentarier und EVP-Vorsitzender Manfred Weber übt scharfe Kritik an den neuen türkischen Sicherheitsgesetzen. Von Mike Szymanski Gut zwei Monate vor der Parlamentswahl in der Türkei haben Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und die islamisch-konservative AKP-Regierung die Europäische Union gegen sich aufgebracht. Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, kritisierte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung die neuen Sicherheitsgesetze, die am Freitag vom Parlament in Ankara beschlossen worden waren. Sie geben der Polizei mehr Befugnisse, gegen Demonstranten kann sie künftig deutlich härter vorgehen. "Wir sehen mit Sorge, dass sich die Türkei immer weiter von gemeinsamen Standards mit Europa entfernt und einen immer restriktiveren Kurs fährt", erklärte Weber. Es liege nun in der Hand der Türkei, wohin die vor zehn Jahren begonnenen Beitrittsverhandlungen führten. "Die Türkei muss sich entscheiden, ob sie eine enge Partnerschaft mit der EU will oder ihre Rolle anders sieht", sagte Weber. Im Parlament war es im Verlauf der Beratungen über das Gesetz zu Schlägereien gekommen Mit der Mehrheit der AKP verabschiedeten die Abgeordneten in Ankara das Gesetzespaket gegen heftigen Widerstand. Demnach sollen Polizisten in bestimmten Situationen auf gewalttätige Demonstranten schießen dürfen, ohne zuvor selber angegriffen worden zu sein. Durchsuchungen und Festnahmen sollen erleichtert werden, und die Regierung soll Webseiten künftig innerhalb von vier Stunden sperren können - ein Gerichtsbeschluss muss nachgereicht werden. Weber sagte: "Die neuen Sicherheitsgesetze werden in der Türkei eher zu mehr Anspannung anstatt zur Entspannung führen." Europa unterstütze den Weg des Landes zu mehr Meinungsfreiheit, Toleranz gegenüber anderen Religionen, einer offenen Wirtschaft und innerer Aussöhnung. "Leider verfestigt sich der Eindruck, dass die türkische Regierung und der Präsident Schritte nach hinten machen." Die türkische Opposition warnt vor einem Polizeistaat und will gegen die Reform vor dem Verfassungsgericht klagen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete die neuen Sicherheitsgesetze als "drakonisch". Schon jetzt würden friedliche Proteste in der Türkei unterdrückt. Im Parlament war es im Verlauf der Beratungen zu Schlägereien gekommen. Das Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union ist seit Monaten belastet. Als Brüssel im Dezember Kritik an einer Massenverhaftung türkischer Journalisten übte, erklärte Erdoğan, es sei seinem Land egal, was die EU zu sagen habe. Genauso sei es der Türkei egal, ob die EU das Land aufnehme. Dies hat Regierungschef Ahmet Davutoğlu mittlerweile zwar ein Stück weit revidiert. Mit Spannung wird dennoch am 7. April der Besuch von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) in der Türkei erwartet. URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-schritte-nach-hinten-1.2417018 |