FAZ, 01.04.2015

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Türkei Regierung sagt Linksextremisten den Kampf an

Die tödliche Geiselnahme in Istanbul wertet die Regierung als Angriff auf die Justiz. Sie verspricht, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Ein Überfall auf ein Büro der Regierungspartei endete derweil glimpflich.

Nach der tödlichen Geiselnahme eines türkischen Staatsanwalts durch eine linksextremistische Gruppe hat die Regierung den Hintermännern den Kampf angesagt. Das sei nicht nur ein Angriff auf einen Staatsanwalt gewesen, sondern ein Anschlag auf das Justizsystem des Landes, sagte Justizminister Kenan Ipek am Mittwoch bei der Beerdigung vor Hunderten Anwälten und Richtern. Die Hintermänner würden zur Rechenschaft gezogen. Zu dem Anschlag vom Vortag bekannte sich die verbotene linksextreme DHKP-C. Deren Anhänger lieferten sich in der Nacht eine Straßenschlacht mit der Polizei in Istanbul. Ob auch der Überfall eines Bewaffneten auf ein Büro der regierenden AK-Partei im Zusammenhang mit der Aktion vom Vortag stand, war unklar. Die Polizei überwältigte den Mann nach kurzer Zeit.

Nach der tödlichen Geiselnahme hat die Polizei 22 mutmaßliche Anhänger der DHKP-C festgenommen. Zu den Festnahmen sei es am Mittwoch im südtürkischen Antalya gekommen, berichtete die Nachrichtenagentur DHA. Den Verdächtigen werde vorgeworfen, ähnliche Aktionen wie die Geiselnahme geplant zu haben. Der Anwalt der Verdächtigen wies die Vorwürfe zurück.

Tausende bei der Trauerfeier

Linksextremisten hatten am Dienstag im zentralen Istanbuler Justizgebäude einen Staatsanwalt als Geisel genommen. Die verbotene DHKP-C bekannte sich zu der Tat. Die Polizei beendete die Geiselnahme nach neun Stunden gewaltsam. Die beiden Terroristen und der Staatsanwalt starben.

Der getötete Staatsanwalt ermittelte in dem politisch bedeutenden Fall Berkin Elvan. Der Jugendliche war bei den Gezi-Protesten im Sommer 2013 von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen worden. Er starb nach neun Monaten im Koma. Bislang wurde niemand dafür zur Rechenschaft gezogen. Die Geiselnehmer hatten öffentliche Geständnisse der verantwortlichen Polizisten gefordert.

Die genauen Umstände der gescheiterten Geiselbefreiung sind noch unklar. Die kurdische Oppositionspartei HDP forderte in einer im Internet veröffentlichten Erklärung, die Vorfälle müssten genau untersucht und die Ergebnisse öffentlich gemacht werden.

Am Mittwoch nahmen Tausende an der Trauerfeier vor der Beerdigung des Staatsanwalts teil. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kündigte laut DHA an, das zentrale Justizgebäude werde künftig den Namen des Staatsanwaltes tragen.

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan brach einen Staatsbesuch in Rumänien ab. In der rumänischen Hauptstadt Bukarest sagte er vor seiner Rückreise: „Unser Kampf gegen den Terrorismus muss mit Entschlossenheit weitergehen.“ Einen Tag nach der Geiselnahme drang nach Angaben von DHA auf der asiatischen Seite Istanbuls ein Bewaffneter in ein Büro der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP ein. Die Polizei habe den Angreifer festgenommen. Niemand sei zu Schaden gekommen. Zuvor hatte es geheißen, zwei Angreifer hätten das Gebäude gestürmt.

An der Istanbul-Universität kam es am Mittwoch zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Studenten, wie DHA berichtete. Der regierungskritische Fernsehsender IMC berichtete, die Polizei habe dabei 36 Studenten in Gewahrsam genommen. Diese hätten an einer Gedenkveranstaltung für einen der getöteten Geiselnehmer teilgenommen.

Die DHKP-C hatte im Januar die Verantwortung für einen Anschlag in Istanbul übernommen, mit dem angeblich der Tod von Berkin Elvan gerächt werden sollte. Die DHKP-C steht in der Türkei, in der EU und in den Vereinigten Staaten auf der Terrorliste. Die Gruppe hatte sich im Februar 2013 zu einem Selbstmordanschlag auf die amerikanische Botschaft in Ankara bekannt. Damals riss der Attentäter einen Wachmann mit in den Tod.