Die Presse, 08.04.2015

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Türkei - Iran: Besuch beim schwierigen Nachbarn

Der türkische Präsident reiste trotz Spannungen in den Iran, um die Handelsbeziehungen zu verbessern. Ankara hatte Teheran in der Jemen-Krise „Machthunger“ vorgeworfen.

von unserer Korrespondentin SUSANNE GÜSTEN (Die Presse)

Istanbul. Es gibt inzwischen kaum noch einen Staat in der Nahost-Region, mit dem die Türkei keinen handfesten Krach hat. Das jüngste Beispiel ist der Iran, der sich von kritischen Bemerkungen des türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, gekränkt fühlt. Erdoğan hatte dem schiitischen Iran Machthunger vorgeworfen und sich im Jemen-Konflikt klar auf die Seite der sunnitischen Allianz unter Führung von Saudiarabien gestellt. Trotzdem reiste er gestern nach Teheran – wo ein hochrangiger Politiker die Visite als „Schande“ brandmarkte.

Vage blieben Erdoğan und Irans Präsident Hassan Rohani gestern jedenfalls beim Thema Jemen-Krise. „Wir sind uns einig, dass der Krieg dort beendet werden sollte“, sagte Rohani. Erdoğan ging nicht ausdrücklich auf den Konflikt ein, sondern sagte mit Blick auf die gesamte Region: „Dem Blutvergießen müssen wir alle gemeinsam ein Ende setzen.“

Die Türkei hat sich für die von Saudiarabien geführte Militäroperation im Jemen ausgesprochen und erwägt logistische Unterstützung. Der Iran fordert dagegen ein Ende der Militäroperation gegen die schiitischen Houthi-Rebellen.

Mit dem Irak, Syrien, Israel und Ägypten hat die Türkei schon seit Längerem Meinungsverschiedenheiten. Zuletzt kritisierte auch Tunesien Ankara. Zumindest zum Teil liegt das am Versuch der türkischen Regierung, den Arabischen Frühling zu nutzen, um sich selbst eine regionale Führungsposition zu sichern. Der Regionalmachtanspruch der sunnitischen Türkei kollidiert zudem mit den Interessen des Iran. Vorige Woche warf Erdoğan den Iranern öffentlich vor, sie bekämpften den Islamischen Staat (IS) im Irak nur, um sich selbst an deren Stelle zu setzen. „Der Iran will die Vorherrschaft in der Region.“ Das sei nicht hinnehmbar. Der türkische Präsident rief den Iran dazu auf, alle Truppen aus dem Irak, aus Syrien und aus dem Jemen abzuziehen.

Als Antwort auf Erdoğans Kritik forderten iranische Politiker, der türkische Präsident solle seinen Besuch in Teheran absagen und zu Hause bleiben. Der türkische Geschäftsträger in Teheran wurde ins iranische Außenamt zitiert.


Lukrative Geschäfte

In Teheran betonte Erdoğan, er betrachte die Konflikte in der Region nicht durch das Raster der Gegensätze zwischen Sunniten und Schiiten. Ihm gehe es um alle Muslime, sagte der türkische Präsident nach einem Treffen mit Rohani.

Ein wichtiger Grund für Erdoğan, trotz aller Differenzen mit Teheran auf seinem Besuch zu bestehen, ist die Aussicht auf bessere Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran. Im Gespräch mit Rohani beklagte der türkische Präsident, beide Länder seien weit von ihrem Ziel entfernt, den bilateralen Handelsaustausch auf 30 Milliarden Dollar im Jahr zu steigern – im vergangenen Jahr erreichten sie weniger als die Hälfte dieses Volumens.

Um das zu ändern, verlangte Erdoğan von den Iranern Preisnachlässe bei Erdgaslieferungen in die Türkei. Wenn die UN-Sanktionen gegen Teheran im Zuge der Einigung im Atomstreit abgebaut werden, ist die Türkei als exportstarker Nachbar zudem in einer guten Position, um vom Nachholbedarf der Iraner zu profitieren. Laut Presseberichten wollen die Türken zudem iranisches Territorium als Exportroute an den Persischen Golf nutzen – der direkte Weg zu diesen Märkten ist für türkische Lastwagen wegen der Konflikte in Syrien und im Irak versperrt.

Beobachter fragen sich deshalb, was den Präsidenten geritten haben mag, kurz vor seiner ersten Teheran-Reise als Staatschef die Gastgeber so zu verärgern. Manche nehmen an, Erdoğan wollte mit der Kritik an der iranischen Politik in der Region bei den sunnitischen Mächten wie Saudiarabien verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.

AUF EINEN BLICK

Der türkische Präsident Erdoğan traf am Dienstag in Teheran den iranischen Präsidenten Rohani. Die Nachbarländer wollen ihr Handelsvolumen mehr als verdoppeln. Wegen unterschiedlicher Standpunkte zu den Konflikten in Syrien und im Jemen stecken der Iran und die Türkei seit Längerem in einer diplomatischen Krise. Erdoğan hatte kurz vor seinem Besuch dem Regime in Teheran vorgeworfen, die Region dominieren zu wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2015)