welt.de, 09.04.2015 http://www.welt.de/politik/ausland/article139320373/Erdogans-naechster-Versuch-sich-zum-Kalifen-zu-machen.html Erdogans nächster Versuch, sich zum Kalifen zu machen Der türkische Staatschef will die muslimische Welt vor dem "Zerfall" retten - und ein moderner Kalif sein. Das alte Spiel um die Macht im Nahen Osten geht in die nächste Runde. Von Boris Kálnoky Es gab Zeiten, da sprach Recep Tayyip Erdogan davon, wie die Macht der Muslime die Zukunft des Planeten gestalten würde. Der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef der Türkei träumte von einer muslimischen Weltmacht (Link: http://www.welt.de/12109622) und hoffte, diese Vision voranbringen zu können. Jetzt aber fürchtet er, dass genau das Gegenteil passieren könnte: Er sieht die muslimische Welt vor dem Abgrund. Kriege von Muslimen gegen Muslime im Irak, in Syrien, im Jemen, in Libyen: Der muslimischen Welt droht die Selbstzerstörung. Erdogan benutzt das Wort "Zerfall", er sieht die sich im ganzen Nahen Osten verbreitenden konfessionellen Konflikte als große Gefahr. Muslime unterschiedlicher Konfessionen dürften ihre Überzeugungen nicht anderen aufzwingen wollen, sagte Erdogan (Link: http://www.welt.de/themen/recep-tayyip-erdogan/) , der selbst Sunnit ist. Nach Meinungen von Experten ist die Türkei selbst nicht ganz unschuldig an solch einem Zerfall. Sie soll sunnitische Extremistengruppen im Irak und in Syrien zumindest indirekt unterstützt haben, um das syrische Assad-Regime und die Kurden in beiden Ländern zu schwächen, während die iranische Führung Assad und die irakischen Streitkräfte unterstützt, teilweise mit eigenen Truppen. Mit anderen Worten, die Türkei und der Iran kämpfen über Stellvertreter gegeneinander – was aber beide Seiten nicht davon abhielt, während Erdogans Besuch in Teheran eine Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen zu vereinbaren und mit gesalbten Worten den Frieden zu beschwören, vor allem im Jemen. Auch dort kämpfen vom Iran unterstützte Milizen erfolgreich gegen Sunniten (Link: http://www.welt.de/themen/sunniten/) . Das führt sogar dazu, dass sich das sunnitische Saudi-Arabien selbst bedroht fühlt und Luftangriffe gegen die Schiiten fliegt. Erdogan hatte den Iran wegen seiner Rolle im Jemen so heftig kritisiert, dass einige Politiker in Teheran forderten, seine Einladung zum Staatsbesuch im Iran zurückzuziehen. Erdogan will den Iran nicht gewinnen lassen Jetzt jedenfalls hat sich Erdogan dem Kampf gegen den "Zerfall" verschrieben. Auch deswegen war er in den vergangenen Tagen und Wochen in Saudi-Arabien und im Iran (Link: http://www.welt.de/139161738) , er sprach mit der pakistanischen Führung und will demnächst nach Malaysia und Indonesien reisen. Seinen Angaben zufolge möchte er auch dort seinem Ziel folgen, dem "Zerfall" der muslimischen Welt Einhalt zu gebieten. Warum aber plötzlich so friedlich, wenn die Türkei bisher so aktiv die sunnitische Sache auf den Kriegsschauplätzen der Region unterstützte? Ganz einfach: Die Türkei und die von ihr passiv oder aktiv unterstützten Gruppen sind dabei, den Krieg um die Neugestaltung der Region zu verlieren. Der Iran hingegen ist dabei zu gewinnen. Sowohl im Irak als auch in Syrien sind die Verbündeten des Iran auf dem Vormarsch, ebenso im Jemen. Erdogans Forderung nach Frieden ist ein Versuch, diesen Vormarsch zu bremsen. In diesem Sinne hat Erdogan
auch seine "Vermittlung" im Jemen angeboten. Es ist eine Rückkehr
zu außenpolitischen Initiativen in den ersten Jahren der Regierung seiner
AK-Partei, als die Türkei ihre Vermittlung in allen möglichen Konflikten
anbot, vom israelisch-palästinensischen Streit bis zum Kaukasus, aber
niemals einen Erfolg verbuchen konnte. Jetzt aber geht es ihr um naheliegende
eigene Interessen. Das uralte Ringen um Macht und Einfluss zwischen Osmanen
und Persern ist heute jenes zwischen Türken und Iranern, und es flammt
zur Zeit auf breiter Front wieder auf.
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