Die Presse, 10.04.2015

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Türkei: Erdoğans Feldzug gegen die Medien

Die Staatsanwaltschaft droht zwei Kolumnisten wegen Veröffentlichung einer Mohammed-Karikatur mit mehrjährigen Haftstrafen. Vor der Parlamentswahl am 7. Juni nimmt der Druck auf Journalisten zu.

Von unserer Korrespondentin Susanne Güsten (Die Presse)

Istanbul. In der Türkei werden die Grenzen der Pressefreiheit immer enger gezogen. Zwei Kolumnisten der regierungskritischen Tageszeitung „Cumhuriyet“, Ceyda Karan und Hikmet Çetinkaya, sollen nach dem Willen der Staatsanwaltschaft für jeweils bis zu viereinhalb Jahre ins Gefängnis. Ihr angebliches Vergehen: Nach dem Anschlag auf das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“ Anfang des Jahres haben die beiden Journalisten eine neue Mohammed-Karikatur des Magazins in ihren Kolumnen veröffentlicht.

Der Abdruck der Karikatur in einem muslimischen Land wie der Türkei erfülle keinen öffentlichen Nutzen und sei deshalb nicht mit der Pressefreiheit zu rechtfertigen, argumentiert die Staatsanwaltschaft. Karan und Çetinkaya sind die jüngsten Opfer einer Justiz, die immer häufiger mit Strafandrohungen oder Gefängnisstrafen gegen Medien vorgeht. Kürzlich wurden zwei Karikaturisten verurteilt, weil sie Präsident Recep Tayyip Erdoğan angeblich mit versteckten Zeichen in einem Titelbild des Satireblatts „Penguen“ als homosexuell hingestellt hatten.

Erdoğan selbst hilft bei der Offensive gegen die Medien kräftig mit. In dieser Woche griff er in einer Rede die Opposition und einen Teil der Presse als Terrorhelfer an. Seine Anwälte reagieren mit Strafanzeigen wegen allem, was als Beleidigung des Staatschefs ausgelegt werden könnte – mehr als 80Strafverfahren gegen Aktivisten und Journalisten wegen Verunglimpfung Erdoğans sind seit seinem Amtsantritt im August bereits eingeleitet worden. Wenn es nach dem Präsidenten geht, werden es noch mehr werden. Er habe seine Anwälte angewiesen, seine Rechte zu verteidigen, sagte er jetzt.


Wahl wird zum Votum über Erdoğan

Erst vor wenigen Tagen ließen die Behörden vorübergehend die Zugänge zu Twitter, YouTube und Facebook sperren – ein Testlauf für kommende Zeiten, sind sich einige Kritiker sicher. In zwei Monaten wählen die türkischen Bürger ein neues Parlament, und da möchte die Regierung möglichst viele kritische Stimmen zum Schweigen bringen, mutmaßt die Opposition.

Am Wahltag am 7.Juni geht es für Erdoğan und die Regierungspartei AKP um sehr viel. Offiziell hat Erdoğan als überparteiliches Staatsoberhaupt mit der Parlamentswahl nichts zu tun – doch die Wahl wird immer mehr zur Abstimmung über ihn. Erdoğan will nach der Wahl das parlamentarische System durch ein präsidiales ersetzen, mit ihm selbst an der Spitze, versteht sich.

Nach Erdoğans Vorstellungen soll der Präsident künftig alle Macht im Land auf sich vereinigen. Machtbegrenzungen für den Staatschef, wie es sie etwa in den USA gibt, fehlen in dem Plan völlig, sagen Kritiker. Der Präsident strebe eine „verfassungsmäßige Diktatur“ an, warnte der Chef der Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtaş, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.

Der Staatschef wischt solche Einwände vom Tisch: Wenn die Türkei weiterkommen wolle, dann brauche sie das Präsidialsystem. Um die nötigen Verfassungsänderungen durchzusetzen, forderte Erdoğan von der AKP, sie müsse 400 der 550 Abgeordneten im neuen Parlament stellen. Laut Umfragen ist es ausgeschlossen, dass die AKP dies schafft. Politisch stärkste Kraft dürfte sie bleiben.

Selbst Erdoğan muss erkennen, dass die Türken ihm nicht so zahlreich folgen wollen, wie er sich das wünscht. Deshalb schraubte er seine Erwartung an die AKP jetzt auf die Zahl von 335 Abgeordneten herunter. Mit einer solchen Dreifünftelmehrheit könnte die Regierungspartei die Verfassungsänderungen zwar nicht direkt beschließen, aber einer Volksabstimmung vorlegen.

Doch auch Erdoğans neue Zielmarke ist für die AKP nur schwer zu erreichen. Selbst nach ihrem Erdrutschsieg vor vier Jahren, als sie fast 50 Prozent der Stimmen einfuhr, kam die AKP lediglich auf 327 Mandate. Die meisten Umfragen sehen die AKP derzeit unter der 50-Prozent-Marke. Sollte Demirtaş' Kurdenpartei HDP die Zehn-Prozent-Hürde überwinden und ins Parlament einziehen, wird es für die AKP noch schwieriger. Beobachter erwarten daher einen sehr harten Wahlkampf. Der Druck auf die Medien dürfte in den kommenden Wochen noch weiter zunehmen.

AUF EINEN BLICK

Zwei Kolumnisten der bekannten türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ droht eine mehrjährige Haftstrafe, weil sie nach dem Angriff auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ eine Mohammed-Karikatur im Blatt veröffentlicht haben. Die Abbildung sei nicht mit der Pressefreiheit zu rechtfertigen, erklärt die Staatsanwaltschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2015)