welt.de, 09.04.2015

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/kultur/article139296984/Prozess-wird-skurrile-Posse.html

Prozess wird skurrile Posse

Die Journalistin Frederike Geerdink steht in der Türkei wegen Terrorpropaganda vor Gericht

Von Boris Kalnoky

Frederike Geerdink ist eine Ausnahmeerscheinung unter den Auslandskorrespondenten in der Türkei. Nur sie hat die Kurdenmetropole Diyarbakir zu ihrem Sitz erkoren. Die Niederländerin verficht in ihren Veröffentlichungen meist kämpferisch die Sache der türkischen Kurden. Finanziert durch Spenden ihrer Anhänger, schrieb sie ein Enthüllungsbuch über die Hintergründe eines Massakers an 34 Kurden durch die türkische Luftwaffe nahe dem Dorf Roboski im Dezember 2011. Wegen ihres streitbaren Eintretens für die Rechte der Kurden steht sie nun vor Gericht. Am 6. Januar bekam sie Besuch von einer Anti-Terror-Einheit, die sie zur Staatsanwaltschaft brachte und verhörte. Dann kam die Anklage: Propaganda für eine Terrororganisation. Geerdink habe die kurdische PKK unterstützt, indem sie diese als "Guerillagruppe" beschrieb.

Nur zwei amerikanischen Korrespondenten war bislang Ähnliches widerfahren. Die Journalistin Aliza Marcus wurde 1995 freigesprochen (musste aber das Land verlassen). Ein Verfahren gegen Andrew Finkel wurde 1999 aufgehoben. Allen drei Fällen war gemein, dass Texte der Angeklagten in türkischen Medien erschienen waren. Bei Geerdink kam hinzu, dass sie laut Anklage Fotos von PKK-Anhängern auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hatte. Zudem hatte sie PKK-Führer Cemal Bayik für ein Interview besucht und sich mit ihm fotografieren lassen. Vielleicht wäre Geerdink gar in Untersuchungshaft gekommen, aber zufällig weilte gerade der holländische Außenminister in der Türkei, als sie abgeführt wurde. Er machte sofort Druck bei der türkischen Regierung, die 45-jährige Journalistin durfte doch noch wieder gehen.

Das alles sollte wohl Angst machen, aber sie ließ sich nicht einschüchtern. Sie schrieb, warum sie sich dem Verfahren stellen wolle: Weil es so absurd sei. Das war es dann auch tatsächlich, als sie gestern zum Prozesstermin erschien. Gleich zu Beginn verlangte nicht etwa ihr Rechtsanwalt, sondern der Staatsanwalt die Anklage fallen zu lassen. Er sehe nichts in den Dokumenten, was den Tatbestand der Unterstützung einer Terrororganisation erfülle. Überdies tat dies nicht der Staatsanwalt, der die Anklage erhoben hatte – wieso dieser nicht zugegen war, wurde nicht erklärt. Auch der zuständige Richter war nicht da – ein seltsamer Gerichtstermin, ohne den zuständigen Staatsanwalt und ohne Richter. Weil dem so war, wurde das Verfahren auf Montag vertagt: Dann dürfte wohl der Freispruch kommen. Was das alles am Ende sollte, wissen vielleicht sogar jene nicht mehr, die das Verfahren anstießen.

Vermutlich hatte da jemand gehofft, die Journalistin werde die Türkei verlassen. Der überraschend glückliche Ausgang sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Geerdink als westliche Journalistin privilegiert ist. Zahlreiche kurdische und türkische Kollegen hatten in der Vergangenheit weniger Glück und wurden wegen Nichtigkeiten jahrelang als "Terrorunterstützer" inhaftiert. Zwar ist die Türkei mittlerweile nicht mehr wie in früheren Jahren das größte Journalistengefängnis der Welt, doch auch der Fall Geerdink zeigt, wie gefährlich es bleibt, dort Journalist zu sein.