Weser Kurier, 11.04.2015

http://www.weser-kurier.de/startseite_artikel,-Entschuldigung-laeuft-ins-Leere-_arid,1098637.html

Auch nach versöhnlicher Geste will Bundesinnenministerium PKK-Verbot nicht aufheben

Entschuldigung läuft ins Leere

SUSANNE GÜSTENUND CHRISTIANE JACKE

Die Szenen haben sich der deutschen Öffentlichkeit eingeprägt und bestimmen für viele das Bild der kurdischen Rebellengruppe PKK bis heute: Kurden blockierten in den 1990er-Jahren deutsche Autobahnen und fielen durch Gewalttaten auf. Jetzt hat sich einer der Kommandeure der PKK im Namen der Organisation für die Aktionen entschuldigt und versprochen, so etwas werde nicht noch einmal vorkommen. Die Kurdenrebellen wollen erreichen, dass Deutschland das PKK-Verbot aufhebt, auch weil sie nach mehr als 30 Jahren Krieg mit dem türkischen Staat Frieden schließen wollen. Das Bundesinnenministerium lehnt eine Aufhebung aber ab.

„Wir möchten nicht mehr gegen die Türkei kämpfen“, sagte der PKK-Kommandeur Cemil Bayik, einer der Anführer der Kurdenrebellen, in einem Interview mit WDR und NDR. „Wir sagen: Es reicht mit dem Kämpfen.“ Schließlich hätten weder die PKK noch der türkische Staat durch die gewaltsame Auseinandersetzung ihre jeweiligen Ziele erreicht. Bayik entschuldigte sich ausdrücklich für die gewalttätigen Protestaktionen der PKK in Deutschland. „So etwas wird nie wieder passieren“, betonte er. Die PKK strebe eine politische Lösung in der Türkei an.

Seit Ende 2012 verhandelt der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan mit der türkischen Regierung über eine Friedenslösung nach einem langen Krieg mit mehr als 40 000 Toten. Seit 2013 schweigen in Südostanatolien die Waffen, und erst kürzlich rief Öcalan seine Organisation zum endgültigen Gewaltverzicht auf. Die PKK will diesem Appell aber erst nach Zugeständnissen der Türkei folgen.

Doch selbst eine Einigung mit Ankara bedeutet nicht automatisch, dass die PKK alle Waffen abgeben wird, meint der Politologe Behlül Özkan von der Istanbuler Marmara-Universität. „Die PKK wird vielleicht ihren Kampf gegen die Türkei beenden, aber sie wird ihre Kämpfer im Irak und in Syrien behalten“, erklärte Özkan. Er verwies auf die Lage in Nord-Syrien, wo die PKK über ihren syrischen Ableger PYD einen Landstrich entlang der türkischen Grenze beherrscht. Dort verteidigten die Kurden in den vergangenen Monaten die Stadt Kobane gegen die Dschihadisten vom Islamischen Staat (IS) und drängen seitdem die IS-Kämpfer immer weiter zurück. „Zum ersten Mal kontrolliert die PKK ein eigenes Gebiet, und zwar eines, das so groß ist wie der US-Bundesstaat New Jersey“, sagte Özkan. Diesen Erfolg werde die PKK kaum durch eine völlige Entwaffnung aller ihrer Einheiten und Gliederungen gefährden.

Deutschland spielt für die PKK bei Propaganda, Anwerbung und Geldbeschaffung eine wichtige Rolle. Zwar habe die Kurdengruppe „ihre Anhänger in Deutschland auf eine Abkehr von militanten Aktionen eingeschworen“, heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht. Doch diese Tendenz könnte „mit einem Scheitern der Friedensverhandlungen wieder Makulatur sein“, unterstreichen die Experten des Inlandsgeheimdienstes. Gewalt bleibe für die PKK „ein strategisches Element, über das sie je nach politischer Situation entscheidet“.

Für die Bundesregierung steht eine Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland auch nach den versöhnlichen Signalen derzeit nicht zur Diskussion. Das Bundesinnenministerium verfolge sehr aufmerksam alle Entwicklungen rund um die PKK, sagte ein Sprecher am Freitag. Das jüngste Statement des operativen PKK-Führers Bayik für sich allein biete aber keinen Anlass für eine Neubewertung der Haltung zur PKK. Diese ist seit 1993 in Deutschland verboten.

Auch der türkische Parlamentarier Aysan Sefer Üstün warnt davor, das PKK-Verbot in Deutschland aufzuheben. Die PKK sei nach wie vor bewaffnet und erpresse auch weiter Schutzgelder in Deutschland, sagte Üstün dem WESER-KURIER. Über eine Aufhebung des Verbots solle erst gesprochen werden, wenn es eine Einigung zwischen Ankara und Öcalan gebe und die PKK-Kämpfer tatsächlich ihre Waffen niederlegten. Der neue Kurs sei nicht als Schwäche der PKK zu verstehen, betonte der kurdische Politiker Abdullah Demirbas – im Gegenteil. „Während der Kämpfe um Kobane haben sich Tausende junge Menschen der Organisation angeschlossen“, sagte er. „Die PKK ist so stark wie nie.“

PKK-Gewaltaktionen

◼ 1984-1987: PKK-Abweichler und politische Gegner werden ermordet.

◼ 1988: PKK-Aktivisten überfallen einen türkischen Diplomaten, eine Bank und das Berliner Büro der Zeitung „Hurriyet“.

◼ 1993: Deutschlandweit werden etwa 60 meist türkische Einrichtungen überfallen. Es gibt einen Toten und viele Verletzte. Kurden verwüsten in München auch Redaktionsräume des „Focus“ und nehmen im türkischen Generalkonsulat Geiseln.

◼ 1994: In Berlin liefern sich 800 Kurden Straßenschlachten mit der Polizei. Bei Autobahnblockaden setzen sich in Mannheim zwei Kurdinnen in Brand und sterben. In 13 deutschen Städten greifen PKK-Anhänger Gebäude und Streifenwagen der Polizei an.

◼ 1995: Die Gewaltwelle erreicht mit Serien von Brandanschlägen vor allem gegen türkische Reisebüros und Versammlungsstätten einen weiteren Höhepunkt. In Berlin stirbt eine Kurdin bei einem Hungerstreik von insgesamt 200 PKK-Anhängern.

◼ 1996: Bei Straßenschlachten zwischen PKK-Anhängern und der Polizei in Bonn und Dortmund gibt es Verletzte.

◼ 1999: Nach der Festnahme von PKK-Anführer Abdullah Öcalan wird in Berlin das israelische Generalkonsulat gestürmt. Vier Kurden sterben an Schussverletzungen.