Frankfurter Rundschau, 12.04.2015

Gefechte gefährden Friedensprozess

Von Frank Nordhausen

Türkische Soldaten und kurdische PKK-Kämpfer liefern sich in der Provinz Agri Gefechte, mehrere Menschen sterben. Die Spannungen haben sich offenbar seit Tagen angebahnt.

Nach stundenlangen Gefechten zwischen der türkischen Armee und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in der ostanatolischen Provinz Agri mit fünf Toten und fünf Verletzten am Sonnabend sind in der Türkei Sorgen um den Fortgang des Friedensprozesses zwischen der Regierung und der Kurdenguerilla laut geworden.

Die Gefechte hielten nach Informationen türkischer Medien am Sonntag an.

Der Generalstab der türkischen Armee erklärte, dass es nahe dem Dorf Yukaritütek einen Angriff der PKK auf das Militär gegeben habe, nachdem 15 Armee-Einheiten in der östlichen Provinz Agri stationiert worden waren.

Dabei handele es sich um eine Sicherheitsmaßnahme vor den Parlamentswahlen am 7. Juni. Fünf Angreifer seien getötet, vier Soldaten und ein Zivilist verletzt worden. 25 PKK-Kämpfer seien umzingelt, hieß es am Sonntag.

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), der zivile Arm der PKK, stellt die Ereignisse ebenso wie die kurdische Nachrichtenagentur Dicle anders dar. Demnach wollten sich an einem Fest in Yukaritütek, bei dem es um die Aufforstung der entwaldeten Region ging, auch PKK-Mitglieder beteiligen – nicht ungewöhnlich in den Kurdengebieten der Türkei seit Beginn des Waffenstillstands mit der PKK vor drei Jahren. Doch am frühen Morgen besetzten Armee-Einheiten mit „Tausenden Soldaten“ das bergige Gelände und hinderten die Zivilisten daran, zum Festplatz zu kommen.

Als Militärhelikopter auftauchten und in Richtung auf eine bekannte PKK-Stellung flogen, sei es zu dem Gefecht gekommen. Die Zivilisten hätten versucht, sich zwischen die Linien zu stellen, doch hätten Soldaten auf sie gefeuert.

Dabei sei der frühere Co-Provinzchef der kurdennahen Parlamentspartei HDP, Cezmi Budak, vom Militär erschossen und ein Journalist schwer verletzt worden. Den Befehl zum Militäreinsatz habe der von Ankara bestellte Gouverneur der Region Agri erteilt.

Wie die Frankfurter Rundschau aus Agri erfuhr, hatten sich in der Region seit Tagen Spannungen aufgebaut, nachdem in der vergangenen Woche fünf zivile angesehene „Friedensstifter“, die Streitigkeiten zwischen lokalen Clans regelten, von der Polizei verhaftet worden waren.

Die Festgenommenen gehören der HDP an, die in Agri gute Chancen hat, die Parlamentswahlen am 7. Juni zu gewinnen, nachdem die Provinz lange eine Hochburg der AKP war.

Im Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat kamen seit 1984 mehr als 40 000 Menschen ums Leben. Seit Ende 2011 laufen Friedensverhandlungen, die wenig greifbare Ergebnisse, aber einen stabilen Waffenstillstand brachten. Vergangene Woche erklärte die PKK-Führung den Verzicht auf Gewalt in der Türkei, doch gleichzeitig hat das Militär wieder Angriffe auf vermutete PKK-Stellungen begonnen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verurteilte den „PKK-Angriff“ bei Agri als „Sabotage des Friedensprozesses“ und attackierte die HDP scharf: „Wenn sie Demokratie und Menschenrechte sagen, dann führt der Weg dahin über Wahlen, nicht Waffen.“

Dagegen warnte der HDP-Co-Vorsitzende Selahattin Demirtas vor „Provokationen“ im Wahlkampf und sagte, das Militär solle „aufhören, für die AKP zu arbeiten“. Die HDP gilt als Hauptgegner der AKP bei den Wahlen. Überspringt sie die Zehnprozenthürde, kann die AKP keine verfassungsändernde Mehrheit erreichen, um das von Erdogan gewünschte Super-Präsidialsystem einzuführen.

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