welt.de, 15.04.2015

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Irak-Veteranen

"Ein Wunder, dass wir nicht schon alle tot sind"

Ehemalige US-Soldaten kämpfen als Zivilisten mit kurdischen Milizen gegen die Terrorgruppe IS. Sie wollen zu Ende bringen, was sie während des Irak-Krieges verpasst haben – und sich therapieren.

Von Vivian Salama, Bram Janssen

Der ehemalige US-Soldat Jamie Lane (29) kämpft als Zivilist mit kurdischen Milizionären gegen den IS. Das sei für ihn eine Art Therapie, sagt er

Ein Jahrzehnt nach seinem ersten Irak-Einsatz ist Jamie Lane (29) wieder im Nahen Osten. Und wieder kämpft der ehemalige US-Soldat – diesmal allerdings nicht in der Uniform der amerikanischen Streitkräfte, sondern als Zivilist an der Seite kurdischer Milizionäre in Syrien.

Lane, der von 2004 bis 2008 in der westirakischen Provinz Anbar stationiert war, leidet an einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung. Seinen Einsatz gegen die Terrorgruppe IS sieht er als eine Art Therapie an: "Für meine Genesung habe ich es auf mich genommen, nach meinen Bedingungen zu kämpfen – gegen einen schlimmen Feind." Es sei "in gewisser Hinsicht eine Erlösung", fügt der ehemalige US-Marine hinzu.

Lane gehört zu einer kleinen, aber stetig wachsenden Gruppe von Irak-Veteranen, die auf eigenen Faust aufs Schlachtfeld zurückkehren. Sie sehen den IS als Nachfolger von al-Qaida. Viele sagen, sie hätten angesichts des Vormarsches der Terrormiliz das Gefühl, etwas zu Ende bringen zu müssen.

Ein kleiner Beitrag mit Waffe

Zu ihnen gehört auch Scott Curley. Er hat sich den kurdischen Peschmerga-Kämpfern angeschlossen, nachdem IS-Extremisten seinen Landsmann Peter Kassig ermordet hatten, einen ehemaligen US-Soldaten, der als Entwicklungshelfer in Syrien war. "Ich bin nur ein Mann mit einer Waffe", sagt Curley. Aber er könne wenigstens einen kleinen Beitrag leisten.

Eine internationale Koalition unter Führung der USA fliegt seit August vergangenen Jahres Angriffe gegen den IS im Irak und in Syrien. Außerdem plant das Pentagon, die kurdischen und irakischen Truppen mit 1,6 Milliarden Dollar in Form von Waffen und Training zu unterstützen. Eine Entsendung von US-Bodentruppen liegt dagegen nicht im Interesse Washingtons.

Die Veteranen haben dafür Verständnis. "Ich möchte nicht, dass unsere amerikanischen Soldatinnen und Soldaten zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahrzehnten in den Krieg ziehen", sagt Bruce Windorski. Der ehemalige Soldat und Polizist aus Wisconsin bildet Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten, kurz YPG, in Syrien aus. "Ich bin weder ein Söldner, noch finde ich Gefallen daran, Menschen zu töten", stellt er klar. Er habe miterlebt, wie amerikanische Soldaten im Ausland gefallen seien, und er kenne Familien, die um ihre toten Angehörigen trauern. "Es ist die Hölle für alle Beteiligten", sagt Windorski.

Die Peschmerga-Kämpfer waren nicht vorbereitet

Die meisten US-Veteranen kämpfen an der Seite kurdischer Milizionäre, die Ausländer mit militärischer Erfahrung ausdrücklich aufgefordert haben, sich ihnen anzuschließen. Und das, obwohl die kurdischen Einheiten im Irak, die Peschmerga, nicht-kurdische Kämpfer einst strikt ablehnten. Doch aus der Not heraus wurden die Regeln geändert. "Dies ist eine außergewöhnliche Situation, und es ist kein Geheimnis, dass die Peschmerga nicht auf diesen Kampf vorbereitet waren", sagt einer ihrer Sprecher, Halgurd Hekmat.

Die Kurden bräuchten jede Hilfe, die sie kriegen könnten, erklären die amerikanischen Veteranen. Allerdings sollten Freiwillige kampferprobt sein und über Ortskenntnisse verfügen. Wer nicht wisse, was er tue, riskiere sein Leben, warnt Matthew Van Dyke, der schon 2011 die libyschen Rebellen unterstützte. "Es ist sogar noch wichtiger, die Region zu kennen, als eine militärische Ausbildung zu haben."

Der 29-jährige Lane ist gerade von der Front zurückgekehrt. Für die YPG zu kämpfen, bedeute den sicheren Tod, sagt er. Es sei eine sehr junge Miliz, wohingegen "die Bastards des IS" gut ausgebildet und gut ausgerüstet seien. "Ein Wunder, dass wir nicht schon alle tot sind."