Der Standard, 20.04.2015 http://derstandard.at/2000014512019/Saddams-getoeteter-Kreuzkoenig-war-Bindeglied-zur-IS-Miliz Saddams getöteter Kreuzkönig war Bindeglied zur IS-Miliz Analyse | Gudrun Harrer Izzat Ibrahim al-Duri, der Freitag getötet worden sein soll, war unter Iraks meistgesuchten Männern Bagdad/Wien – Das Erstaunliche an der Geschichte von Izzat Ibrahim al-Duri ist nicht einmal sein Tod – wenn die Berichte denn stimmen – am Freitag bei Tikrit, sondern sein langes Überleben: Die verfassungsmäßige Nummer zwei im Irak unter Saddam Hussein, dessen Vizepräsident und Stellvertreter im Revolutionskommandorat er war, tauchte nach der Einnahme Bagdads durch die US-Truppen im April 2003 unter, wie die anderen hohen Regimevertreter auch. Aber er war der Einzige, dem dies auch glückte, und da war mehr als Zufall am Werk – er hatte ein Netzwerk, das ihn aufnahm. Saddam Hussein selbst, der den Irak von 1979 bis 2003 diktatorisch regierte, wurde im Dezember 2003 gefasst und Ende 2006 hingerichtet. Auf Duri waren zehn Millionen Dollar Kopfgeld ausgesetzt; im Kartenspiel, das die USA 2003 mit den Bildern von gesuchten Regimegrößen herausgaben, war er der Kreuzkönig. Das Kopfgeld könnte nun die radikale Schiitenmiliz Asaib Ahl al-Haq von den Amerikanern einfordern. Sie stellten Duri am Freitag östlich von Tikrit. Dass Duri von Mitgliedern einer bei den Sunniten verhassten Schiitenorganisation getötet wurde, ist nicht gut. Solidarisierungseffekte sind zu erwarten. Duris Leiche wurde nach Bagdad gebracht, um mit einem DNA-Test Sicherheit über seine Identität zu schaffen. Den Weg für die IS geebnet Izzat Ibrahim al-Duri, ein Gefährte Saddams der ersten Stunde und kurzzeitig auch der Schwiegervater von Saddams Sohn Uday (der 2003 getötet wurde), war jener Mann, der die Symbiose zwischen dem Baathismus und dem Islamismus verkörperte, die so typisch für die irakischen Aufstände nach 2003 war und ist. Er war der Chef der irakischen Baath-Partei im Untergrund und kommandierte die "Armee der Männer des Naqshbandiya-Ordens" (JRTN), die im Sommer 2014 der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) den Marsch auf Mossul und darüber hinaus ebnete: durch militärische Zusammenarbeit, aber auch durch lange vorangegangene Propaganda, die die arabischen Sunniten zum Aufstand gegen Bagdad und die neue politische Klasse aufrief. Die IS-Miliz nutzte geschickt die Expertise von Militärs des alten Regimes. Allerdings gab es nach der Einnahme Mossuls im Juni 2014 bald Berichte über Konkurrenz und Zerwürfnisse zwischen IS und JRTN. Beide betrachteten sich als Seniorpartner in der Verbindung. Zudem ist die internationale jihadistische IS-Agenda Duri und seinen Leuten ja eigentlich völlig fremd. Die Baath-Partei gab später ein Statement heraus, in dem der "Islamische Staat" als Terrororganisation verurteilt wurde. Duri, wegen seines schmächtigen Aussehens und seiner roten Haarfarbe oft als "Karotte" verspottet, war eines der wenigen Mitglieder des Regimes von Saddam Hussein, dessen Frömmigkeit weithin bekannt war. Sein Lebensstil – vom Beten bis zu den vier Ehefrauen – war islamisch und im Gegensatz zu anderen Regimebonzen sehr bescheiden. Behandlung in Österreich Seine Zugehörigkeit zum weitverzweigten sufistischen Naqshbandiya-Orden half ihm mit Sicherheit 2003, in den Untergrund zu gehen und zu überleben. Für Anhänger des Sufitums, des mystischen Islams, ist die Geschichte des JRTN eine schmerzhafte Sache, zeigt sie doch, dass auch das Sufitum nicht immun gegen radikale Ideen und gegen Gewalt ist. Auch Österreich hat seine kurze
Geschichte mit Duri: Ende der 1990er-Jahre hielt er sich zur medizinischen
Behandlung in Wien auf; die Opposition verlangte seine Verhaftung, er
wurde jedoch unbehelligt gelassen. Gerüchteweise handelte es sich um Leukämie.
Das dürfte jedoch nicht gestimmt haben. Sein Tod wurde nach 2003 ebenfalls
verschiedentlich gemeldet – beziehungsweise gab es den Verdacht, dass
Duri nicht wirklich leben, sondern sein angebliches Überleben ein PR-Gag
der Baathisten sein könnte. Es gab aber auch Audio-Botschaften und ein
Video von 2013, auf dem ein Mann zu sehen ist, der tatsächlich starke
Ähnlichkeit mit ihm hat. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 20.4.2015)
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