welt.de, 22.04.2015

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Davutoglu beschwert sich persönlich bei Merkel

Die Bundestagsresolution über den Völkermord an den Armeniern erzürnt die Türkei: Der Ministerpräsident hat sich bei der Kanzlerin persönlich darüber beschwert. Er führte ein historisches Argument an.

Von Robin Alexander , Claudia Kade

Der Ministerpräsident der Türkei, Ahmet Davutoglu, hat persönlich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die Verwendung des Begriffes "Völkermord" in einer Resolution des Bundestages interveniert.

Am Dienstagnachmittag telefonierten die beiden Regierungschefs nach Informationen der "Welt" über dieses Thema. Demnach argumentierte Davutoglu dabei, die Verwendung des Begriffes "Völkermord" für die Massaker an den armenischen Einwohnern des Osmanischen Reiches im Jahr 1915 sei nicht zulässig, da dieser Terminus erst nach dem Zweiten Weltkrieg ins Völkerrecht aufgenommen wurde. In der Türkei gehört die Leugnung des Völkermordes nach wie vor zur Staatsräson.

Am Freitag wird der Bundestag über einen Antrag der Regierungsfraktionen abstimmen, in dem es heißt, die "planmäßige Vertreibung und Vernichtung von über einer Million ethnischer Armenier" stehe "beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt."

Die Bundesregierung hatte zuerst darauf gedrungen, den Begriff "Völkermord" aus diplomatischer Rücksicht auf die Türkei nicht zu verwenden. Nachdem Papst Franziskus jedoch den Begriff verwendet hatte und dafür vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan scharf gerügt worden war, rebellierten Abgeordnete und führende Politiker der Union gegen diese Sprachregelung.

Da auch Bundespräsident Joachim Gauck angedeutet hatte, seinerseits auf einer Veranstaltung am Donnerstag den Völkermord beim Namen zu nennen, gaben die Fraktionsspitzen nach.

Türkische Vereine lehnen Begriff scharf ab

Führende Vertreter türkischer Verbände warnten die schwarz-rote Koalition ebenfalls davor, das deutsch-türkische Verhältnis mit dem Völkermord-Vorwurf schwer zu belasten. Außerdem werde die Aussöhnung zwischen der Türkei und Armenien erschwert, lautete der Vorwurf. Auch gegen den Papst und das Europäische Parlament, die die Geschehnisse von damals ebenfalls als Völkermord eingestuft haben, teilen sie kräftig aus.

"Wenn das EU-Parlament, der Papst und der Bundespräsident dazu beitragen wollen, dass das Problem gelöst wird, sollten sie darauf hinwirken, dass sich beide Seiten an einen Tisch setzen", sagt Bekir Yilmaz, Präsident der Türkischen Gemeinde in Berlin. "Alles andere führt nur dazu, dass sich die Fronten verhärten." Die Wahrheitsfindung sollte nicht in Parlamenten stattfinden, sondern in Gerichtssälen.

"Ein Völkermord ist die schwerste Straftat, die die Weltgemeinschaft kennt", sagte Ali Söylemezoglu, Vorsitzender des türkischen Vereins Dialog und Frieden. Nur ein Gericht habe die Befugnis, einen Völkermord festzustellen. "Wenn der Bundespräsident von Völkermord spricht, überschreitet er seine Kompetenzen." Dies sei eine Anmaßung und bedauerlich.

Über das Gedenken an die Verbrechen gegen die Armenier gibt es seit Jahren Streit. Während die Bundesregierung den Begriff aus Rücksicht auf die diplomatischen Beziehungen zur Türkei lange vermied, sehen Historiker den Begriff angesichts der systematischen Vernichtung der Armenier mit bis zu 1,5 Millionen Toten als gerechtfertigt an.

Worte des Papstes? Für die Vereine unwichtig

Die neue Formulierung der Koalitionsfraktionen wollen die türkischen Verbände nicht widerstandslos hinnehmen: Die Historiker seien sich keineswegs einig in der Einstufung der Massaker, und da auch viele Muslime ums Leben gekommen seien, müsse eher von einer Art Bürgerkrieg gesprochen werden oder auch von einer fehlerhaften Umsiedlungspolitik der damaligen osmanischen Führung, argumentieren sie.

Dass der Papst das anders sieht, habe kein Gewicht. "Der Papst war noch nie ein Verkünder von Wahrheiten", sagt Söylemezoglu. "Für die Wahrheitsfindung sind die Worte des Papstes noch nie geeignet gewesen."

Die Bundesregierung habe bislang die Position vertreten, dass die einschlägige UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung von Völkermord aus dem Jahr 1948 für die Bundesrepublik erst seit 1955 in Kraft sei und nicht rückwirkend gelte. Nun werfe die Bundesregierung plötzlich ihre eigenen Grundsätze über Bord. Es werde mit zweierlei Maß gemessen, wenn es um die Türkei gehe, kritisiert Söylemezoglu. Sollten Bundespräsident, Regierung und Parlament bei ihrer Einschätzung bleiben, werde ihr Ansehen Schaden nehmen.

"Eine einseitige Darstellung der Geschichte schadet der Freundschaft zwischen Deutschland, der Türkei und Armenien", warnt Niyazi Öncel vom Verein Gedankengut Atatürks. Und Yilmaz mahnt: Die knapp drei Millionen hier lebenden Türken litten ohnehin schon unter der Debatte über Integration, Islamfeindlichkeit und Pegida. Sollten die Bundestagsabgeordneten die geplante Resolution beschließen, legten sie damit "noch eine Schippe drauf". Für Samstag ist eine Protestkundgebung in Berlin geplant.