Die Presse, 23.04.2015

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Armenier-Erklärung: Türkei sieht Beziehung zu Wien "dauerhaft beschädigt"

Die Regierung in Ankara protestiert gegen die Verwendung des Wortes "Völkermord" in einer Erklärung des österreichischen Nationalrats. Der türkische Botschafter wurde aus Wien zurückberufen.

23.04.2015 | 06:44 | Von Christian Ultsch und Julia Raabe (DiePresse.com)

Die Erklärung aller sechs österreichischen Parlamentsparteien zum Völkermord an den Armeniern hat zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen Wien und Ankara geführt. Die Erklärung habe für "Empörung" gesorgt und werde die Beziehungen zwischen beiden Ländern "dauerhaft beschädigen", heißt es in einer Stellungnahme des Außenministeriums in Ankara. "Wir lehnen diese voreingenommene Haltung des österreichischen Parlaments ab". Der Versuch, "anderen einen Vortrag zu halten", habe "in der heutigen Welt keinen Platz." Es sei klar, "dass diese Erklärung permanente negative Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Türkei und Österreich haben wird".

Botschafter einberufen

Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan berief den türkischen Botschafter in Österreich, Mehmet Hasan Gögüs, am Mittwochabend zu Konsultationen in die türkische Hauptstadt ein, wie Gögüs der "Presse“ auf dem Weg zum Flughafen mitteilte. Das türkische Außenministerium bestätigte das in seiner Erklärung.

Am Mittwoch gedachte in Wien der Nationalrat der Opfer des Völkermords vor 100 Jahren, bei dem bis zu 1,5 Millionen Armenier aufgrund von Vertreibungen und Gräueltaten ihr Leben ließen. Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) verwies dabei ausdrücklich auf die Erklärung der Parlamentsparteien vom Vortag und betonte, diese solle der Aussöhnung zwischen Armeniern und der Türkei dienen. Eine nachhaltige Versöhnung setze aber das Eingeständnis historischer Schuld voraus. Zur Gedenkminute und der anschließenden Präsentation der Erklärung kamen auch Vertreter der armenischen Gemeinde.

>>> Originaltext der Erklärung der Klubobleute
"Ehrliche Aufarbeitung"

Die Erklärung der Klubobleute bezeichnet die Massaker an den Armeniern explizit als Völkermord. „Aufgrund unserer historischen Verantwortung - die österreichisch-ungarische Monarchie war im Ersten Weltkrieg mit dem Osmanischen Reich verbündet - ist es unsere Pflicht, die schrecklichen Geschehnisse als Genozid anzuerkennen und zu verurteilen“, heißt es darin wörtlich. "Ebenso ist es die Pflicht der Türkei, sich der ehrlichen Aufarbeitung dunkler und schmerzhafter Kapitel ihrer Vergangenheit zu stellen und die im Osmanischen Reich begangenen Verbrechen an den Armeniern als Genozid anzuerkennen."
Scharfe Kritik an diesen Worten kam nicht nur von der Regierung in Ankara, sondern auch von Seiten türkischer Verbände in Österreich. In Inseraten in mehreren Tageszeitungen, auch der "Presse", äußerten sie sich enttäuscht und gekränkt über das Statement. Sowohl SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder als auch ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka versicherten dagegen, es gehe nicht um Provokation oder Kränkung. Doch man müsse die Dinge beim Namen nennen.
Das österreichische Außenministerium wollte die Einberufung des türkischen Vertreters nach Ankara nicht kommentieren: „Das ist eine souveräne Entscheidung der Türkei, ob sie einen Botschafter einberuft oder nicht.“
Im Gegensatz zu den Klubobleuten sträubt sich das Außenamt, die Gräueltaten gegen die Armenier als Völkermord zu bezeichnen. Es verschanzt sich hinter einem formalrechtlichen Argument: Es sei schließlich erst 1948 definiert worden, was straf- und völkerrechtlich unter Völkermord zu verstehen sei. Deshalb könne der Begriff nicht rückwirkend angewendet werden. In Wahrheit dürfte die Bundesregierung die ohnehin angespannten diplomatischen Beziehungen zur Türkei nicht noch weiter belasten wollen.
Merkel muss sich erklären

Obwohl die Türkei inzwischen das Leid der Armenier anerkannt hat, weigert sich die Regierung bis heute, von Völkermord zu sprechen. Eine Erklärung des Papstes vergangene Woche, in der dieser vom „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ sprach, sorgte tagelang für schwerste Verstimmungen zwischen Ankara und dem Vatikan.
Die Empörung der Türken bekam am Mittwoch auch Deutschland zu spüren. Die deutschen Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD stufen in einem Papier für eine Gedenkstunde am Freitag im Bundestag die Massaker ebenfalls erstmals als Völkermord ein. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel musste dem erbosten türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu persönlich die deutsche Position erläutern. In einer Mitteilung hatte Davutoğlu am Montag gesagt, die Türkei teile den Schmerz der Nachkommen der Opfer und spreche ihnen Mitgefühl aus.

Stellungnahme Ankaras im Wortlaut

(APA-Übersetzung der englischen Version)

Pressemitteilung in Bezug auf die gemeinsame Erklärung des österreichischen Parlaments über die Ereignisse des Jahres 1915

Die Regierung der Türkei hat am Mittwoch gegen die Erklärung des Österreichischen Nationalrats zum Völkermord an den Armeniern 1915 protestiert. Diese habe für "Empörung" gesorgt und werde die Beziehungen zwischen beiden Ländern "dauerhaft beschädigen", hieß es in einer Stellungnahme des Außenministeriums in Ankara. Der türkische Botschafter wurde aus Wien zurückberufen.

Im Folgenden die Stellungnahme des türkischen Außenministeriums im Wortlaut. Es handelt sich um eine APA-Übersetzung der englischen Version:

"Pressemitteilung in Bezug auf die gemeinsame Erklärung des österreichischen Parlaments über die Ereignisse des Jahres 1915

Die heute veröffentlichte Erklärung über die Ereignisse von 1915, unterzeichnet von den Klubchefs der politischen Parteien im österreichischen Parlament, ist Anlass zu großer Verbitterung unsererseits. Das österreichische Parlament hat weder das Recht noch die Kompetenz, die türkische Nation eines Verbrechens in einer Weise zu beschuldigen, die im Gegensatz zu den Gesetzen und der historischen Wahrheit steht. Es soll zur Kenntnis genommen werden, dass die Türkei und die türkische Nation nicht vergessen werden, wie ihre Geschichte mit dieser Stellungnahme verleumdet wird.

Es scheint, dass Österreich, mit dem wir auf der gleichen Seite im Ersten Weltkrieg gekämpft haben, und das in der besten Lage sein sollte, zu erkennen, dass diese große Tragödie nicht als 'Völkermord' definiert werden kann, sich den Bemühungen gewisser Kreise gebeugt hat, die erpicht sind, die Wahrnehmung zu manipulieren, in völliger Missachtung von humanitären und konkreten Initiativen der Türkei.

Die Tatsache, dass es die gemeinsame Erklärung nicht einmal für nötig erachtet, die Muslime zu erwähnen, die ihr Leben während des ganzen gleichen Zeitraums verloren, während sie die Leiden mit allen christlichen Gruppen teilten, ist ein trauriger und klarer Hinweis auf Diskriminierung aus religiösen Gründen durch Menschen, die behaupten, ihre Taten auf humanitärer Basis zu setzen. Es muss nicht gesagt werden, dass eine solche Diskriminierung bei der Lösung von Problemen nicht sehr hilfreich ist. Wir lehnen daher so eine voreingenommene Haltung des österreichischen Parlaments und seinen schlecht formulierten und in der Tat veralteten Ansatz ab, Dritten ungebetenen Geschichtsunterricht erteilen zu wollen.

Die Ereignisse des Ersten Weltkrieges durch verdrehte Linsen zu betrachten, selektive und - noch schlimmer - diskriminierende Meinungen und so schwere Anschuldigungen wie jene des Völkermords auf die leichte Schulter zu nehmen, ist nichts weniger als ein Massaker des Rechts. Daher wird dieses empörende Verhalten rigoros von der Türkei abgelehnt. Es wird nicht möglich sein, der Türkei die Last eines so großen Verbrechens, das sie nicht begangen hat, durch politischen Druck jedweder Art auf die Schulter zu legen.

Es ist offensichtlich, dass die Erklärung des österreichischen Parlaments bleibende Flecken auf der türkisch-österreichischen Freundschaft hinterlassen wird. Unsere Ansichten zu diesem Thema wurden heute dem Botschafter der Republik Österreich in Ankara zur Kenntnis gebracht, und der türkische Botschafter in Wien, Herr Hasan Gögüs, wurde zu Konsultationen in die Türkei zurückberufen.

Auf einen Blick

Der Armenier-Genozid jährt sich in diesem Jahr zum 100. Mal. Die Vertreibungen und Massaker durch das Osmanische Reich begannen am 24. April 1915 und kosteten bis zu 1,5 Millionen Menschen das Leben. Bis heute haben rund 20 Staaten die Gräueltaten als Völkermord anerkannt. In diesem Jahr haben das erstmals auch alle sechs im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien getan. Das hat zu einer schweren diplomatischen Krise mit Ankara geführt. Die Türkei weigert sich bis heute, von Völkermord zu sprechen. Die türkische Regierung hat am Mittwoch ihren Botschafter in Österreich zu Konsultationen einberufen und angekündigt, dass weitere Schritte folgen könnten.