Frankfurter Rundschau, 23.04.2015

Die Stunde der Deutschkurdin

Von Frank Nordhausen

Sie könnte die erste "ausländische" Abgeordnete der Türkei werden: Die in Deutschland geborene Feleknas Uca tritt bei der türkischen Parlamentswahl für die Partei der Völker HDP an. Für Nationalisten im Einheitsstaat Türkei ist das aus verschiedenen Gründen eine Provokation.

Es ist kurz nach ihrer Nominierung, gleich muss Feleknas Uca von der ostanatolischen Kurdenmetropole Diyarbakir in die türkische Hauptstadt Ankara fliegen, um sich dort gemeinsam mit 550 anderen Kandidaten ihrer Partei der Öffentlichkeit vorzustellen. „Ich habe mich einfach selbst beworben und bin angenommen worden. “, sagt die energische, resolute Frau in perfektem Deutsch. Feleknas Uca, 38 Jahre alt, Single, dezent gekleidet, kandidiert in Diyarbakir für die Parlamentswahlen am 7. Juni. Wenn sie es ins Parlament schafft, ist sie die erste „ausländische“ Abgeordnete der Türkei. Eine mit doppelter Staatsbürgerschaft, denn sie stammt aus Celle in Niedersachsen, wo sie geboren und aufgewachsen ist.

Nicht nur deshalb ist Feleknas Uca für Nationalisten im Einheitsstaat Türkei eine Provokation. Sondern auch, weil sie selbstbewusst sagt, sie spreche besser Kurdisch als Türkisch. Die Tochter kurdischer Gastarbeiter gehört der Volksgruppe der Jesiden an – jener Minderheit, die im Irak von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verfolgt wird. Vor allem aber ist sie ein Politprofi aus einer politisch aktiven Familie. Zwei ihrer sieben Geschwister sind Kreistagsabgeordnete, sie selbst hat zehn Jahre lang für die deutsche Linkspartei im Europaparlament gesessen.

Für die Kurden-nahe Partei der Völker (HDP) ist Feleknas Uca ein politischer Gewinn, dazu geeignet, gleichzeitig Frauen, Minderheiten und auch wahlberechtigte Kurden in Deutschland anzusprechen. Von letzteren verspricht sich die Partei einen kräftigen Schub, um die Zehnprozenthürde zu überspringen, die Anfang der 1980er Jahre vom Militär eingeführt wurde, um Islamisten und Kurden aus dem Parlament fernzuhalten. Die Kandidatenlisten der HDP mussten wie die aller Parteien bei der Wahlkommission eingereicht werden. Die HDP hat die bunteste und modernste, eine für die patriarchalische Türkei geradezu revolutionäre Liste aufgestellt, mit Kandidaten von Mitte-konservativ bis extrem links. Eine strenge Frauenquotierung sorgt dafür, dass jeder zweite Listenplatz von einer Frau besetzt ist. „Ein Herr, eine Dame, ein Herr, eine Dame“, drückt es Feleknas Uca ein wenig altmodisch aus. Wie bei den deutschen Grünen? „Genau so.“

Mehr als zehn sichere Plätze wurden für Kandidaten reserviert, die eine ethnische, religiöse oder kulturelle Minderheit vertreten: Armenier, Araber, Assyrer, Zaza, Roma, Aleviten, sogar ein offen schwuler Kandidat, ebenfalls eine Neuheit in der Türkei. Um glatt über die Hürde zu kommen, braucht die Partei aber auch Stimmen von konservativen Kurden, die bisher die islamisch-konservative Regierungspartei AKP wählten. Uca fällt es nicht schwer zu begründen, warum auch Frauen mit Kopftuch für ihre Partei antreten. „Man kann das hier nicht mit Deutschland vergleichen, wir machen eben ein Angebot für alle.“

Da die HDP wie ihre Vorgängerparteien der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nahesteht, hatte sie in der Vergangenheit nie eine Chance, die Zehnprozenthürde zu überspringen. Tatsächlich überlegen viele Linke, Liberale und Aleviten in der Türkei derzeit, ihre Stimme der HDP zu geben, da sie zum maßgeblichen Faktor in einer türkischen Schicksalswahl geworden ist. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der laut Verfassung eher symbolische Macht genießt, hat den Urnengang zum Referendum über ein Super-Präsidialsystem erklärt, das ihm weitgehende Exekutivrechte verleihen soll. Um die Verfassung zu ändern, braucht die AKP im 550-Sitze-Parlament aber mindestens 330 Abgeordnete, gegenwärtig hat sie 317.

Die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien haben die Herausforderung angenommen und wenden sich scharf gegen die Transformation der parlamentarischen Demokratie in ein Präsidialsystem, das ihrer Meinung nach zur Ein-Mann-Herrschaft führt. Da die sozialdemokratische CHP und die ultranationalistische MHP laut Meinungsumfragen weit davon entfernt sind, die absolute Parlamentsmehrheit der AKP zu brechen, kann dies nur mit dem Einzug einer weiteren Partei ins Parlament gelingen. Schafft es die HDP aber nicht, stärkt sie Erdogan. Denn die Stimmen aller Parteien, die die Hürde nicht nehmen, fallen wegen des komplizierten türkischen Wahlrechts an die Mehrheitspartei.

„Wir kommen aber sicher rein“, meint Feleknas Uca. Sie glaubt, dass sie ihre Erfahrungen aus Brüssel und Straßburg in Ankara gut gebrauchen kann. „Friedenspolitik“ wolle sie machen, „denn wir setzen weiter auf den Friedensprozess mit dem Staat“. „Meine Wurzeln sind in Deutschland, aber jetzt will ich die Türkei verändern, eine Gesellschaft gestalten, wo alle die gleichen Rechte haben.“ Über ihre Kandidatur entschied keine Delegiertenversammlung wie in Deutschland, sondern die Wahlkommission der Partei. „Wir sind hier eben in der Türkei, es herrscht ein ganz anderes System.“ Feneklas Uca vermeidet es, über die Rolle von Abdullah Öcalan, des inhaftierten PKK-Führers, bei der Kandidatenauswahl zu sprechen.

Anders ihr Parteikollege Abdullah Demirbas, ein Urgestein der linken kurdischen Bewegung und jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt. „Das erste und letzte Wort hat immer Herr Öcalan, der Anführer des kurdischen Volkes“, sagt 48-jährige Demirbas, der zehn Jahre lang Bürgermeister des Altstadtviertels von Diyarbakir war.

Demirbas meint, die HDP sei bei der Wahl in einer Win-Win-Situation: „Wenn wir ins Parlament kommen, verhindern wir Erdogans Superpräsidentschaft und sprechen ein gewichtiges Wort mit bei der Demokratisierung des Landes. Kommen wir nicht hinein, machen wir eben unsere eigene Politik.“ Bereiten sie sich mit einem Plan B auf die einseitige Ausrufung eines Kurdenparlaments in Diyarbakir vor, wie man munkelt? „Das kann passieren“, sagt Demirbas lächelnd.

Offenbar hat Präsident Erdogan die Lage ähnlich analysiert, denn er fährt inzwischen einen aggressiven Kurs gegen die HDP, die zwar sein Partner bei den seit drei Jahren laufenden staatlichen Friedensgesprächen mit der PKK ist, die er neuerdings aber auch wieder mit der „terroristischen Separatistenorganisation“ PKK gleichsetzt. Politische Beobachter interpretieren die Wende als Anbiederung an nationalistische Wähler.
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