Neue Zürcher Zeitung, 27.04.2015 http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/geschwaechtes-asad-regime-1.18530370 Verlust von Jisr al-Shughur Geschwächtes Asad-Regime Monika Bolliger, Kairo Gegner des syrischen Regimes haben am Wochenende die Provinzstadt Jisr al-Shughur erobert. Damit hat das Regime die Provinz Idlib so gut wie verloren. Unter den Eroberern ist der syrische Kaida-Ableger Jabhat al-Nusra prominent vertreten. Die syrische Luftwaffe
hat am Sonntag die nordwestlich gelegene syrische Stadt Jisr al-Shughur
heftig bombardiert, nachdem diese am Samstag in die Hände der Aufständischen
gefallen war. Dies berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
Islamistische Milizen, unter ihnen der syrische Kaida-Ableger Jabhat al-Nusra,
hatten am Samstag die «Befreiung» von Jisr al-Shughur verkündet. Nach
der Eroberung der Stadt durch die Rebellen wurden Zivilisten evakuiert,
zumal das syrische Regime Rückschläge seiner Bodentruppen meist durch
Luftangriffe auszugleichen sucht. Syrische Staatsmedien berichteten von einem Massaker an Zivilisten durch Terroristen in Jisr al-Shughur, bei dem mindestens 30 Personen getötet worden seien. Die Beobachtungsstelle meldete dagegen die Festnahme von regimetreuen Kämpfern und konnte bis Sonntag weder die Tötung von festgenommenen Soldaten noch von Zivilisten dokumentieren. Dagegen verzeichnete sie die Tötung von mindestens 27 Personen durch die Luftangriffe des Regimes, wobei es sich bei den Opfern mehrheitlich um Milizen handeln soll. Mit der Eroberung von Jisr al-Shughur ist die Provinz Idlib so gut wie vollständig in die Hände einer islamistischen Allianz von Rebellen gefallen, die sich in Anlehnung an die frühislamische Geschichte Jaish al-Fath (Armee der Eroberung) nennt und von der Nusra angeführt wird. Nicht Teil der Allianz ist die Terrormiliz Islamischer Staat, welche sowohl gegen das Regime als auch gegen andere Rebellen kämpft. Die syrischen Aufständischen sind derzeit an mehreren Fronten auf dem Vormarsch, was ein Zeichen für die bessere Koordination ihrer Unterstützer – der Türkei, einiger Golfmonarchien sowie im Süden Syriens zu einem gewissen Grad Israels – sein könnte. Das Regime hält sich dank der Unterstützung Irans und des libanesischen Hizbullah. Jisr al-Shughur liegt an einer Strasse, welche die Provinz Idlib mit der Küstenregion von Latakia verbindet. Bis die Provinzhauptstadt Idlib Ende März in die Hände der Rebellen fiel, hatte das Regime diese Route zur Versorgung seiner Truppen in Idlib benutzt. Der Verlust von Jisr al-Shughur wird eine mögliche Rückeroberung Idlibs weiter erschweren. Zugleich rücken damit die Regimegegner näher Richtung alawitische Küstengebiete vor, wo der herrschende Clan der Asads herkommt. Für syrische Alawiten dürfte der Vorstoss eine demoralisierende Wirkung haben. Bröckelnde innere Kohärenz? Syriens Alawiten sind in einer ausweglosen Lage. Das Regime Asad hat über Jahrzehnte die Entwicklung einer selbstbewussten, vom Regime unabhängigen alawitischen Identität verhindert und sich als einzige alawitische Schutzmacht präsentiert. Es wurde wenig in die wirtschaftliche Entwicklung der armen alawitischen Regionen investiert, deren Bewohner deshalb auf Beamtenjobs angewiesen blieben, für die sie gegenüber der sunnitischen Mehrheit bevorzugt wurden. Dies wiederum hat den Hass auf die Alawiten unter den Sunniten geschürt, weshalb sich viele Alawiten erst recht um das Regime scharten und sich für die Milizen Asads rekrutieren liessen. Radikale sunnitische Gruppierungen wie die Kaida, die jetzt auf dem Vormarsch ist, betrachten die Alawiten als Häretiker. Zugleich mehren sich
Anzeichen von Frustration unter Syriens Alawiten über die Politik des
Regimes, dem es nicht gelingt, ihre Sicherheit zu gewähren. Ausserdem
scheint die innere Kohärenz des Regimes nachzulassen. Die Chefs von drei
der insgesamt vier wichtigsten Geheimpolizei-Abteilungen haben seit letztem
Herbst ihren Posten verlassen, zwei von ihnen im März dieses Jahres. Und
diesen Monat wurde ein Cousin des syrischen Präsidenten Bashar al-Asad
verhaftet, der zwar keine hohe Position innehatte, jedoch als Geldgeber
des Regimes galt.
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