Neue Zürcher Zeitung, 01.05.2015

http://www.nzz.ch/zuerich/die-stimme-der-syrischen-kurden-1.18532876

Salih Muslim in Zürich

Die Stimme der syrischen Kurden

Inga Rogg, Istanbul

Anders als viele kurdische Politiker hat sich Salih Muslim seine Sporen nicht im bewaffneten Kampf verdient. Seit dem Sieg von Kobane ist er der wichtigste Vertreter der syrischen Kurden. In Zürich ist er nun Hauptredner an der 1.-Mai-Kundgebung.

In den Augen von Extremisten des Islamischen Staats (IS) ist Salih Muslim ein Gottloser. Dabei trägt er es nicht nur in seinem Namen, dass er ein Muslim ist. Er hat den Fanatikern auch einiges in Sachen Erfüllung der islamischen Pflichten voraus. Im Gegensatz zu den meisten der selbsternannten Verfechter des wahren Glaubens hat der kurdische Politiker den Hajj gemacht, eine der fünf Pflichten, die jeder gläubige Muslim einmal in seinem Leben erfüllen muss. Zwei Mal habe er den Hajj und sogar fünfzig Mal die kleine Wallfahrt («Umra») absolviert, sagte Muslim vor einiger Zeit in einem Interview mit einer türkischen Tageszeitung.

Mit diesem Bekenntnis macht Muslim deutlich, dass Frömmigkeit, linke Gesinnung und kurdischer Nationalismus kein Widerspruch sein müssen. Im Jahr 1951 in einem Dorf nahe Kobane (Ain al-Arab) in eine traditionelle kurdische Familie geboren, schlägt Muslim zuerst eine berufliche Laufbahn ein, bevor er Politiker wird. Der Musterschüler ergattert ein Auslandstipendium und geht nach Istanbul, wo er von 1971 bis 1977 an der angesehenen Technischen Universität Chemietechnik studiert. Es sind die Jahre der Massenstreiks und der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksextremisten in der Türkei. Muslim sympathisiert mit den Linken, geht nach dem Studium aber nach London und dann nach Saudiarabien, wo er bis Anfang der neunziger Jahre für den staatlichen Energiekonzern Petromim arbeitet.
Die Kurden als Spielball

Irgendwann in dieser Zeit wird Muslim auch politisch aktiv. Er trifft sich mit Abdullah Öcalan , dem Chef der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Guerilla aus dem Nachbarland kann frei in Syrien operieren; Zehntausende von syrischen Kurden schliessen sich ihr an. Für den damaligen Machthaber Hafez al-Asad ist die PKK ein willkommenes Druckmittel gegen den türkischen Erzfeind. Das ändert sich erst, als sich Asad 1998 mit der Türkei verständigt und Öcalan zur Flucht zwingt. Prominente syrisch-kurdische Aktivisten aus dem PKK-Umfeld werden festgenommen, auch Muslim landet im Gefängnis. Die Gangart des Regimes verschärft sich noch, als die Kurden im Frühjahr 2004 gegen ihre Benachteiligung rebellieren. Viele der Festgenommenen werden beschuldigt, Mitglied der ein Jahr zuvor von der PKK gegründeten syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) zu sein, zu deren Führung Muslim gehört. Als das Regime seine Frau festnimmt, setzt er sich ins Hauptquartier der PKK im Nordirak ab.

Der Aufstand der Syrer gegen das Asad-Regime bringt die Wende. Seit 2010 gemeinsam mit Asia Abdulla Co-Vorsitzender der PYD, kehrt Muslim nach Syrien zurück. Mit ihnen kommen auch Tausende von syrischen PKK-Kämpfern. Am bewaffneten Aufstand gegen Bashar al-Asad beteiligen sie sich aber lange nicht. Wie sein Vater setzt wohl auch der junge Asad darauf, den PKK-Ableger als Druckmittel gegen die Türkei benutzen zu können. Der Preis dafür ist, dass er die syrisch-kurdischen Gebiete faktisch der PYD überlässt. Sie nutzt das, um die PKK-Variante einer kurdischen Autonomie umzusetzen.
Auftritt in Zürich

Der Kurs der Regierung in Ankara mit dem Ziel, die PYD zu isolieren, scheitert. Spätestens seit dem hart errungenen Sieg über den IS in Kobane gelten die kurdischen Kämpfer und Kämpferinnen als Helden. Dabei ist die PYD nicht zimperlich mit Gegnern in den eigenen Reihen. Kritiker werfen ihr Morde an prominenten kurdischen Aktivisten vor. Doch der Kampf gegen den IS hat die PYD zu einem wichtigen Verbündeten der Koalition gegen die Fanatiker gemacht. Erstmals wird Muslim an einer Syrien-Konferenz teilnehmen, wenn sich im Mai die Mächtigen der Welt mit Vertretern der Opposition und des Regimes in Genf versammeln. Am Freitag hat er einen Auftritt in der Stadt Zürich: Am 1. Mai wird er laut den Veranstaltern unter anderem an der Schlusskundgebung auf dem Sechseläutenplatz ein längeres Votum halten.