Berliner Zeitung, 04.05.2015

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Feleknas Uca kandidiert in der Türkei

Die Stunde der Kurdin

Von Frank Nordhausen

Diyarbakir – Feleknas Uca ist in Deutschland geboren. Im Juni tritt sie für die kurdennahe und fortschrittliche Partei HDP bei den türkischen Parlamentswahlen an. Sie könnte die erste „Ausländerin“ werden, der der Einzug in das Gremium gelingt.

Feleknas Uca ist auf dem Sprung. Gleich muss sie von der ostanatolischen Kurdenmetropole Diyarbakir in die türkische Hauptstadt Ankara fliegen. Dort wird sie sich gemeinsam mit 550 anderen Kandidaten ihrer Partei der Öffentlichkeit vorstellen. Die 38-Jährige tritt bei der Parlamentswahl am 7. Juni für die kurdennahe Partei der Völker (HDP) an. „Ich habe mich einfach beworben und bin genommen worden“, sagt die resolute Frau in perfektem Deutsch. Die alleinstehende, dezent gekleidete Politikerin kandidiert in Diyarbakir. Wenn sie es ins Parlament schafft, ist sie die erste „ausländische“ Abgeordnete der Türkei, eine mit doppelter Staatsbürgerschaft. Denn sie stammt aus Celle in Niedersachsen, wo sie geboren und aufgewachsen ist.

Die bunteste Liste der Türkei

Die Tochter kurdischer Gastarbeiter gehört der Volksgruppe der Jesiden an – jener Minderheit, die im Irak von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verfolgt wird. Vor allem aber ist sie ein Politprofi aus einer politisch aktiven Familie. Zwei ihrer sieben Geschwister sind Kreistagsabgeordnete, sie selbst hat zehn Jahre lang für die deutsche Linkspartei im Europaparlament gesessen. Schon aus dieser Zeit kennt sie auch den politischen Betrieb in Diyarbakir, sie fühle sich keineswegs als Ausländerin, sagt sie.

Für die HDP ist Feleknas Uca ein Gewinn – dazu geeignet, Frauen, Minderheiten und wahlberechtigte Kurden in Deutschland anzusprechen. Von letzteren verspricht sich die Partei einen kräftigen Schub, um die Zehn-Prozent-Hürde zu überspringen, die das Militär Anfang der 80er-Jahre eingeführt hat, um Islamisten und Kurden aus dem Parlament fernzuhalten.

Beim Gespräch im Haus des parteinahen „Demokratischen Gesellschaftskongresses“ in Diyarbakir erzählt Uca von den vergangenen Monaten, die sie bei den bedrohten Jesiden im irakischen Sindschar-Gebirge und an der türkisch-syrischen Grenze gegenüber der vom IS belagerten Grenzstadt Kobane verbrachte. „Wir brauchen ein Konzept der europäischen Staaten, um den IS zu bekämpfen, denn er führt einen Krieg gegen die Menschlichkeit.“ In ihr Deutsch mischt sich ihre kurdische Herkunft mit der Andeutung eines Akzents.

Die Kandidatenliste der HDP musste wie die aller Parteien Anfang April bei der Wahlkommission eingereicht werden. Die HDP hat die bunteste und modernste, eine für die patriarchalische Türkei geradezu revolutionäre Liste aufgestellt, mit Kandidaten von Mitte-konservativ bis extrem links. Eine strenge Frauenquotierung sorgt dafür, dass jeder zweite Listenplatz von einer Frau besetzt ist.

Mehr als zehn sichere Plätze wurden für Kandidaten reserviert, die eine ethnische, religiöse oder kulturelle Minderheit vertreten: Armenier, Araber, Assyrer, Zaza, Roma, Aleviten, sogar ein offen schwul lebender Kandidat, ebenfalls eine Neuheit in der Türkei. Um glatt über die Hürde zu kommen, braucht die Partei aber auch Stimmen von konservativen Kurden, die bisher die islamisch-konservative Regierungspartei AKP wählten. Uca fällt es nicht schwer zu begründen, warum auch Frauen mit Kopftuch für ihre Partei antreten.

„Wir machen eben ein Angebot für alle.“

Da die HDP wie ihre Vorgängerparteien der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nahesteht, hatte sie in der Vergangenheit nie eine Chance, die Zehn-Prozent-Hürde zu überspringen. Während sie früher nur mit Einzelkandidaten antrat, will die Partei diesmal im ganzen Land auf dem Wahlzettel stehen. Sie will an den sensationellen Erfolg ihres Co-Chefs Selahattin Demirtas bei der Präsidentschaftswahl im August anknüpfen. Der 42-Jährige erreichte 9,8 Prozent der Stimmen, weil er die HDP über das kurdische Spektrum hinaus für andere Minderheiten sowie liberale und linke Gruppen öffnete, die genug haben von Erdogans autoritärem Führungsstil.

HDP auf Wählerfang

Tatsächlich überlegen viele Linke, Liberale und Aleviten in der Türkei derzeit, ihre Stimme der HDP zu geben, da sie zum maßgeblichen Faktor in einer türkischen Schicksalswahl geworden ist. Denn nur wenn ihr der Einzug ins Parlament gelingt, ist es möglich, die absolute Parlamentsmehrheit der AKP zu brechen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der laut Verfassung eher symbolische Macht genießt, hat die Wahl zum Referendum über ein Super-Präsidialsystem erklärt, das ihm weitgehende Exekutivrechte verleihen soll. Um die Verfassung zu ändern, braucht die AKP im 550-Sitze-Parlament aber mindestens 330 Abgeordnete, gegenwärtig hat sie 317.

Sollte die HDP an der Zehn-Prozent-Hürde scheitern, dann führt das zu einer Stärkung Erdogans. Denn die Stimmen aller Parteien, die die Hürde nicht nehmen, fallen wegen des komplizierten Wahlrechts an die Mehrheitspartei.

„Wir kommen aber sicher rein“, sagt Feleknas Uca. „Friedenspolitik“ wolle sie machen, „denn wir setzen weiter auf den Friedensprozess mit dem Staat“. Wegen deren pazifistischer Position zum Jugoslawienkrieg sei sie mit 22 Jahren in den Linkspartei-Vorgänger PDS eingetreten und ins Europaparlament gegangen, sagt sie. Dort engagierte sie sich in der Frauen- und Antirassismuspolitik und war Schatzmeisterin ihrer Fraktion. Als Mitglied der gemeinsamen parlamentarischen Delegation von EU und Türkei und durch regelmäßige Besuche sei sie in die kurdische Politik hineingewachsen.

Feneklas Uca vermeidet es, über die Rolle von Abdullah Öcalan, des inhaftierten PKK-Führers, bei der Kandidatenauswahl zu sprechen. Anders verhält sich ihr Parteikollege Abdullah Demirbas, ein Urgestein der linken kurdischen Bewegung. „Das erste und letzte Wort hat immer Herr Öcalan, der Anführer des kurdischen Volkes“, sagt Demirbas, der zehn Jahre Bürgermeister des Altstadtviertels von Diyarbakir war. Demirbas meint, die HDP sei bei der Wahl in einer Win-Win-Situation: „Wenn wir ins Parlament kommen, verhindern wir Erdogans Superpräsidentschaft und sprechen ein gewichtiges Wort mit bei der Demokratisierung des Landes. Kommen wir nicht hinein, machen wir eben unsere eigene Politik.“ Bereiten sie sich mit einem Plan B auf die einseitige Ausrufung eines Kurdenparlaments in Diyarbakir vor, wie man munkelt? „Das kann passieren“, sagt Demirbas.

Parteibüros attackiert

Wachsende Spannungen, die kürzlich zum ersten massiven Gefecht des Militärs mit der PKK seit drei Jahren führten, bedrohen den fragilen Friedensprozess. Das sei eine Provokation seitens der Regierung gewesen, sagt Feleknas Uca – um alte Feindbilder zu erneuern und die HDP als Komplizen von Terroristen zu brandmarken. Wenn es so war, ist der Versuch gescheitert. Denn HDP-Mitglieder bildeten eine Menschenkette zwischen den Kampfparteien, um die Schießerei zu beenden. Inzwischen wurden mehrfach HDP-Wahlbüros mit scharfer Munition attackiert – bisher zum Glück ohne Verletzte.

Dabei steht derzeit nicht nur der innere Friede, sondern die Zukunft und Einheit des Landes in einer Region wachsender ethnisch-sektiererischer Spannungen auf dem Spiel. „Wir bekennen uns zur Türkei“, sagt Feneklas Uca zum Abschied im Treppenhaus des Parteigebäudes vor einem großen Schwarz-Weiß-Foto Abdullah Öcalans. Gelingt ihrer Partei der Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde, dann schafft sie es mit ihrem sicheren vierten Listenplatz in Diyarbakir ins Parlament. „Aber davor steht der Wahlkampf. Jeden Tag von neun Uhr morgens bis Mitternacht.“ Sie sagt es mit großen Augen, als freue sie sich darauf.