Neues Deutschland, 08.05.2015

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Linker Wahlappell an Auslandstürken

Aufruf zur Unterstützung der Demokratischen Partei der Völker HDP / Kritik an autoritärem Neoliberalismus von Staatspräsident Erdogan / Stimmabgabe zur Wahl am 7. Juni in Deustchland seit Freitag möglich

Selahattin Demirtas, Co-Vorsitzender der HDP, auf einer Wahlkampfveranstaltung in Istanbul Ende April
Foto: dpa/Sedat Suna

Berlin. Gewerkschafter, Intellektuelle und linke Politiker werben mit einem am Freitag veröffentlichten Appell an die türkeistämmigen Wähler in Deutschland darum, bei der Parlamentswahl in der Türkei am 7. Juni für die Demokratische Partei der Völker (HDP) zu stimmen. Die seit 13 Jahren regierende AKP habe das Land in einen »autoritären Neoliberalismus« verwandelt, die »Islamisierung der Gesellschaft« sei vorangeschritten. Inzwischen würden »zusammen mit der parlamentarischen Demokratie auch die staatsbürgerlichen Rechte – insbesondere Frauen- und Arbeiterrechte – offen zur Disposition gestellt«, heißt es in dem Aufruf.

Zu den Wahlen sind Anfang Juni rund 53,7 Millionen Berechtigte aufgerufen, die 550 Abgeordneten der Nationalversammlung zu bestimmen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wirbt für eine Mehrheit, die ihm die Einführung eines Präsidialsystems erlauben würde. Bei der bevorstehenden Abstimmung drohe, dass »das faktisch bereits betriebene Präsidialsystem« zu einer »Ein-Mann-Diktatur« Erdoğans werde.

Die Unterzeichner, zu denen unter anderem der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger, die Politikwissenschaftlerin Ülkü Schneider-Gürkan, der Bundesvorsitzender der Föderation der ArbeiterInnenvereine aus der Türkei, Kemal Kıran, sowie der Gewerkschafter Horst Schmitthenner und Yilmaz Kaba vom Vorstand der Föderation der Ezidischen Vereine zählen, kritisierten, dass die Wahl »unter den Bedingungen einer zutiefst undemokratischen Verfassung und einer repressiven Politik« stattfinden. »Die Sperrklausel beträgt 10 Prozent, die Chancen in den Medien zu werben sind extrem ungleich verteilt, die Möglichkeiten, gegen die Regierung zu protestieren, sind durch das verschärfte Polizeigesetz enorm eingeschränkt.«

Die Demokratische Partei der Völker (HDP) nimmt zu ersten Mal an den Wahlen zur Nationalversammlung teil. Der 2012 aus dem Demokratischen Kongress der Völker hervorgegangene Zusammenschluss der kurdischen Bewegung mit verschiedenen linken Gruppierungen, tritt als Vertretung an, die »die vielfältige ethnische, religiöse und gesellschaftliche« Realität in der Türkei widerspiegeln will. So treten neben Türken, Kurden, Alewiten, Sunniten und Christen auch andere Minderheiten an, Sozialisten, Feministinnen, Umweltbewegte und LGBT-Aktivisten gehörten zu den Kandidaten. »Zahlreiche linke Parteien und Organisationen, Gewerkschaften und Berufsverbände unterstützen die HDP«, heißt es in dem Appell.

Seit diesem Freitag können türkeistämmigen Wähler in Deutschland ihre Stimme abgeben. Fast 1,4 Millionen Menschen mit türkischem Pass haben sich für die Abstimmung registrieren lassen. Die Stimmabgabe ist in 14 Konsulaten überall im Bundesgebiet möglich. Insgesamt sind nach Angaben der Wahlbehörde knapp 2,9 Millionen Auslandstürken zur Wahl aufgerufen, fast die Hälfte davon in Deutschland. nd/Agenturen