Badische Zeitung, 11.05.2015

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Soma leidet – auch ein Jahr nach dem Grubenunglück

Sie schlafen nur noch bei Licht: Ein Jahr nach dem Grubenunglück im westtürkischen Soma leiden überlebende Bergleute unter Panikattacken und Existenzangst.

ISTANBUL. Rund ein Jahr nach dem schwersten Bergwerksunglück in der Geschichte der Türkei haben im westtürkischen Soma Tausende Menschen der 301 getöteten Kumpel gedacht. Bis heute ist die genaue Ursache der Katastrophe unklar. Viele überlebende Bergleute kämpfen seit dem Unglück mit psychischen Problemen.
Geschlossene Räume und Dunkelheit lösen seither bei Ahmet Panik aus, das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Doch am Schlimmsten seien die Alpträume, sagt er. Dann sehe er seine toten Kumpel wieder vor sich und ihre rußverschmierten Gesichter. "Ich nehme Medikamente, sonst halte ich das nicht aus", sagt er. "Ich kann auch nicht im Dunkeln schlafen." Seit einem Jahr leidet der 21-Jährige unter psychischen Problemen, seit er geholfen hat, seine Kumpel aus dem Bergwerk in Soma zu bergen.

Das Bergwerk wird von der privaten Soma Holding betrieben und ist seit dem Unglück geschlossen. Wie genau es zu dem Unfall kam, ist bis heute ungeklärt. Durch einen Brand trat giftiges Kohlenmonoxid aus. Das Gas ist tückisch – farb- und geruchslos. Die meisten Opfer erstickten.

Zur Zeit des Unglücks war Ahmets Schicht schon zu Ende. Als er von dem Unfall hörte, eilte er zur Mine, um zu helfen. Nun leistet Ahmet, der seinen richtigen Namen nicht preisgeben will, seinen Militärdienst ab. Sonst wäre er arbeitslos, wie die meisten, die in der Unglücksmine gearbeitet hatten. Zu den Erinnerungen kommt Existenzangst. Es gibt keine Arbeit hier, außer in den Minen.

Den "Märtyrerfamilien" zahlt der Staat eine Waisenrente – je nach Position des Verstorbenen nach Angaben der Familien umgerechnet 330 bis 660 Euro. Den Überlebenden zahlte die Firma ihr Gehalt nach dem Unglück zunächst weiter. Doch Ende vergangenen Jahres kündigte sie mehr als 2800 Kumpeln. Sie arbeiteten in der Unglücksmine Eynez oder anderen Minen der Firma, die inzwischen wegen Sicherheitsmängeln geschlossen wurden.

Arbeitslosengeld, je nach Arbeitsjahren umgerechnet etwa 300 Euro, zahlt der Staat nur sechs Monate lang. Danach müssen sich die Männer als Tagelöhner auf den Feldern verdingen. Das reicht kaum, um die Familie durchzubringen. "Man hat uns vergessen", sagt einer. Ein anderer fügt hinzu: "Wir sind für die wie Taschentücher. Wenn sie uns nicht mehr brauchen, werfen sie uns weg."

Feti Akin, ebenfalls ehemaliger Kumpel in Soma, geht noch weiter. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP sorge absichtlich dafür, dass die Männer aus Kinik keine neue Arbeit erhielten. "Sie stellen uns nicht an, weil wir mit den Medien gesprochen und die Arbeitsbedingungen kritisiert haben", sagt der 43-Jährige. Die Minenbetreiber und die AKP, das ist für Akin und andere ein und dasselbe. Im September 2014 verabschiedete die Regierung dann doch ein Gesetz, das die Arbeitsbedingungen in den Minen verbessern soll. Nun haben die Kumpel zwei statt einen freien Tag pro Woche. Die Arbeitszeit sank von acht auf sechs Stunden am Tag.

Seit April stehen 45 Angeklagte vor Gericht, darunter der Vorstandsvorsitzende der Firma. Sami Yavuz, ebenfalls ehemaliger Arbeiter in Soma, fährt regelmäßig zum Prozess im westtürkischen Akhisar. Für ihn steht fest, dass die Betreiberfirma an der Arbeitssicherheit gespart hatte, um mehr Gewinn zu erwirtschaften. Wie viele andere Arbeiter erzählt Yavuz, dass es in der Mine kurz vor dem Unglück besonders heiß war. Seinen Vorgesetzten habe er Bescheid gegeben, doch die seien sauer geworden und hätten nur geantwortet: "Isine bak" – Kümmere dich um deine Arbeit. "Hätten sie auf uns gehört, dann wäre der Unfall niemals passiert."