Die Presse, 19.05.2015

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Warum sich der „Islamische Staat“ halten kann

Mit Ramadi fiel erneut eine Großstadt im Irak an die Jihadisten. Der irakischen Armee mangelt es an Kampfmoral und der Luftkrieg gegen den IS hat zu wenig Wirkung.

18.05.2015 | 18:35 | von Wieland Schneider und Wolfgang Greber (Die Presse)

Sie sollen für die Regierung in Bagdad die Kohlen aus dem Feuer holen: Eine Kolonne der Hashid-Shaabi-Miliz hat am Montag die Habbaniya-Kaserne nahe der Stadt Ramadi erreicht. Hashid Shaabi ist die Dachorganisation einer Reihe kampfstarker schiitischer Gruppen. Sie bereiten offenbar einen Gegenangriff auf Ramadi vor, das in den vergangenen Tagen weitgehend in die Hände des sogenannten Islamischen Staats (IS) gefallen ist. IS-Selbstmordattentäter hatten Angriffe mit Fahrzeugen voller Sprengstoff durchgeführt, zugleich waren schwer bewaffnete IS-Kämpfer vorgerückt.

Die in Ramadi stationierte Eliteeinheit der irakischen Armee, die sogenannte Goldene Brigade, sowie weitere Einheiten flohen. Auch US-Luftschläge konnten nicht verhindern, dass der IS die strategisch wichtige Stadt etwa 100 Kilometer westlich von Bagdad einnehmen konnte. Der Erfolg in Ramadi zeigt, dass sich der IS trotz des seit August 2014 laufenden Militäreinsatzes einer Allianz aus mehr als 20Staaten halten kann – obwohl diese Allianz von den USA angeführt wird. Die Gründedafür sind vielfältig.


Relativ wenige Luftangriffe

Zunächst beschränkt sich das Gros der echten Kampfaktionen der Allianz (etwa abgesehen von Waffenlieferungen, Ausbildung) auf Luftangriffe, um lokale Kräfte – vor allem Iraks Armee und kurdische Einheiten – zu unterstützen. Die Luftunterstützung ist weit nicht so extensiv und wirksam, wie man vielleicht glauben könnte: Laut Central Command des US-Militärs hat es von 1.Jänner bis 1.April ca. 5670Flüge von Kampfflugzeugen gegeben, von denen 1385 in Waffeneinsätze gemündet sind – das sind umgerechnet nur 15 pro Tag in dem riesigen Zielgebiet (Karte). Im Vorjahr waren es gut zehn pro Tag. Etwa 60Prozent der Flüge gehen auf das Konto der USA, weitere Beteiligte sind etwa die Golfstaaten, Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Australien, Italien und andere.

Vom 16. auf den 17. Mai gab es acht Luftschläge in Syrien und 18 im Irak, sieben davon bei Ramadi. Jeder bewirkte zwar die Zerstörung einzelner Fahrzeuge, Kanonen und ganzer Schützengruppen, doch in Summe waren es keine entscheidenden Verluste. Gesamt soll der IS seit August unter anderem 77Panzer, 290Geländewagen und mindestens 8500 Mann verloren haben.

Vor allem haben sich die Jihadisten den Luftangriffen angepasst: Offiziere westlicher Spezialeinheiten berichten, dass die IS-Kämpfer exzellent im Tarnen seien, sich meist nachts und in gelockerter Formation mit einzelnen zivilen Fahrzeugen bewegen. Raketenwerfer sind versteckt in Lkw eingebaut, Kanonen unter Zeltplanen. Die Versorgung ist gut. Man geht davon aus, dass viele Kämpfer in infanteristischem Gefechtsverhalten, Taktik und Moral besser trainiert und geführt sind als das Gros der regulären Armee des Irak. Der IS schießt zurückhaltender, verbraucht also weniger Munition als die Iraker.

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Die IS-Milizen haben insgesamt einen höheren Kampfwert als ihre irakischen Gegner, wobei die Zahl der IS-Kämpfer weiter unklar ist: Angaben schwanken von 20.000 bis 30.000 (laut CIA) und bis zu 200.000 laut kurdischen Generälen. „Ohne die Luftangriffe der Allianz hätte der IS längst Bagdad belagert“, sagt ein Ex-Offizier der britischen SAS. Rückschläge musste der IS bisher vor allem dort einstecken, wo er – zusätzlich zu Luftangriffen – auf dem Boden auf kampferfahrene und entschlossene Gegner stieß. Das zeigte sich etwa in der Schlacht um die Stadt Kobane. Für Syriens Kurden besitzt die Stadt eine immense strategische Bedeutung – eine Kapitulation ist deshalb für sie nicht infrage gekommen. Verteidigt wurde Kobane von den Volksverteidigungseinheiten (YPG). Sie sind Verbündete der türkisch-kurdischen Untergrundorganisation PKK, die über jahrzehntelange Kampferfahrung verfügt und in der auch Selbstaufopferung zur Ideologie zählt. Mittlerweile konnten die YPG der syrischen Kurden und die Peshmerga der irakischen Kurden weitere Gebietsgewinne erzielen.


Unterstützung bei Sunniten

Eine Niederlage musste der IS auch im März in Tikrit hinnehmen. Dort war er vor allem mit der schiitischen Hashid-Shaabi-Miliz konfrontiert, die jetzt vor Ramadi in Stellung geht. Die vom Iran unterstützten Schiiten-Milizen könnten den IS zwar militärisch in Bedrängnis bringen. Zugleich könnte ihr Einsatz aber dazu führen, dass die sunnitische Bevölkerung Ramadis den IS bei den Kämpfen unterstützt. Nach der Einnahme Tikrits hatten die Schiiten-Milizen zahlreiche Sunnitenhäuser verwüstet.

Die sunnitische Bevölkerung in Ramadi, aber auch in der IS-Hochburg Mosul sieht sich vor der Wahl: entweder unter den rigiden Regeln des Islamischen Staats zu leben oder von Schiiten-Milizen ausgeplündert zu werden. Das ist ebenfalls ein wichtiger Grund dafür, warum sich der IS in vielen Gebieten weiterhin halten kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2015)