spiegel.de, 21.05.2015

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Deutsch-türkische Spionageaffäre: Anklage gegen Ankaras mutmaßliche Agenten

Von Jörg Diehl und Conny Neumann

Sie sollen Jesiden in Deutschland ausgespäht und PKK-Aktivisten überwacht haben: Die Bundesanwaltschaft hat jetzt drei mutmaßliche Spione der Türkei angeklagt. Einer der Männer ist ein ehemaliger Berater von Präsident Erdogan.

Muhammed Taha Gergerlioglu brüstete sich gern mit seinem Einfluss in Ankara: "Ja, ich würde sogar sagen, ich habe Hakan Fidan zum Chef des MIT ernannt." Fidan ist der Leiter des türkischen Nachrichtendienstes Milli Istihbarat Teskilat (MIT). Er gilt als einer der mächtigsten Männer im türkischen Sicherheitsapparat. Der Mann wiederum, der ihn dazu gemacht haben will, sitzt seit Monaten in einem deutschen Gefängnis. Der Generalbundesanwalt hat ihn im Dezember festnehmen lassen.

Gergerlioglu soll Kopf einer Spionagezelle gewesen sein, die in Deutschland wohl über ein Jahr lang Oppositionelle bespitzelte. Den Ermittlungen zufolge machten die Männer unter anderem Fotos von Teilnehmern einer Jesiden-Demonstration in Bielefeld im April 2014 und spähten Monate zuvor bereits PKK-Anhänger aus. Die Bundesanwaltschaft hat Gergerlioglu, 58, sowie seine mutmaßlichen Zuträger Ahmet Y., 59, und Göksel G., 34, daher inzwischen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit angeklagt. Das Trio wird sich aller Voraussicht nach demnächst vor dem Oberlandesgericht Koblenz verantworten müssen.

Politische Brisanz entfaltet die deutsch-türkische Agentenaffäre dadurch, dass Gergerlioglu ein früherer Berater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist. Zuletzt arbeitete der Funktionär mit grauem Schnauzbart, randloser Brille und akkuratem Seitenscheitel in einem Ausschuss, der dem Regierungschef Ahmet Davutoglu unterstellt ist. Das Gremium verwaltet Spareinlagen des Staates und fiel mit Käufen und Verkäufen von Medien auf. Zudem war Gergerlioglu Mitglied im Vorstand der staatlichen Halk Bank.

Spitzelsystem für Erdogan

In Deutschland aber scheint der 58-Jährige ganz andere Aktivitäten entfaltet zu haben. Laut Anklage engagierte er sich als Reisekader des MIT, der ein eigenes Geflecht von Informanten unterhielt. Dabei griff er mit seinem mutmaßlichen Zuträger Y., dem Betreiber eines Reisebüros in Wuppertal, wohl auf jemanden zurück, der in einem Ermittlungsverfahren gegen die Organisierte Kriminalität aufgefallen war. In einem der abgehörten Telefonate sprach Ahmet Y. damals unvorsichtigerweise von seinem "Führungsoffizier" - und lieferte diesen damit wohl ans Messer.

Die Ermittler gehen davon aus, dass Gergerlioglu nicht in die offiziellen Strukturen des türkischen Nachrichtendienstes eingebettet war. So hat Ankara auch stets bestritten, dass Gergerlioglu und seine mutmaßlichen Komplizen in den Diensten des MIT gestanden hätten. Sein Verteidiger ließ eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE zu dem Verfahren bislang unbeantwortet.

In einem der abgehörten Gespräche beschrieb der frühere Erdogan-Berater, wie der türkische Sicherheitsapparat inzwischen aufgestellt sein soll. Es werde ein "Dreier-System" angewendet, Erdogan bediene sich "einer sichtbaren und eine unsichtbaren Einheit und einer weiteren unsichtbaren Einheit, die sich untereinander nicht kennen". Dieser Umstand untermauere den Verdacht, dass die Gruppe um Gergerlioglu Erdogan diene und für ihn ein Spitzelsystem in Deutschland errichtet habe, heißt es in einem Schriftstück der Ermittler.

Wie wertvoll die Informationen aus der Bundesrepublik dabei für den türkischen Staatschef überhaupt waren, ist allerdings fraglich. Viele Hinweise scheinen eher in die Kategorie üble Nachrede zu fallen. So meldete einer der Zuträger nach Informationen des SPIEGEL etwa, er könne ein Dokument beschaffen, welches belege, dass der Erdogan-Gegner Fethullah Gülen in einem Korankurs einen Jungen missbraucht habe. Das Dokument könne helfen, Gülen fertigzumachen. Das Schriftstück tauchte nie auf.

Ein anderes Mal warnte derselbe Mann seinen Agentenführer vor einem ähnlichen Schmutztrick der Gegenseite. "Die Leute von der Gülen-Sekte haben letztens gesagt, sie werden eine Sexkassette veröffentlichen", warnte er. Doch das Video, das angeblich Erdogans Bruder beim Liebesspiel zeigt, stand zu dem Zeitpunkt bereits im Internet. Und dann berichtete ein weiterer Spitzel auch noch von einem bevorstehenden Anschlagsversuch auf Erdogan. Im Verdacht hatten die Agenten eine Köchin in Ankara. Doch es geschah - nichts. Tatsächlich fanden deutsche Ermittler nie einen Beleg dafür, dass es die Attentatspläne überhaupt gegeben hatte.

Ebenfalls rätselhaft erscheint den Beamten die Vielzahl von Bildern, die sie auf dem Smartphone von Gergerlioglu fanden. 112 Aufnahmen von Pässen entdeckten Kriminaltechniker auf dem Gerät, es waren Ausweise von Kindern und Erwachsenen, von Männern, Frauen, Türken, Iranern und Deutschen. Die Sammlung schien keinem Muster zu folgen. Handelte es sich um potenzielle Informanten oder um Zielpersonen? Eine Antwort darauf könnte wohl nur Gergerlioglu selbst geben. Doch der Mann, der sich von seinen Gefährten "Chef" nennen ließ, schweigt.