junge Welt, 23.05.2015

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Kampf an 160 Fronten

»Islamischer Staat« setzt in Syrien fort, was USA und EU begonnen haben. NATO-Land Türkei und Saudi-Arabien leisten Schützenhilfe

Von Karin Leukefeld/Damaskus

Kurz nach dem Sturm auf die syrische Wüstenstadt Palmyra, die am Mittwoch von der Miliz »Islamischer Staat« (IS) erobert worden war, haben Bewaffnete das Kloster Deir Mar Elian in Karjatain überfallen. Am Donnerstag nachmittag entführten sie den Leiter des Gotteshauses, Pater Jacques Mourad, sowie einen weiteren Glaubensbruder vom nahegelegenen Kloster Deir Mar Mussa. Welche Kampftruppe die beiden Geistlichen verschleppt hat, ist bisher noch unklar.

Pater Jacques, der der syrischen Ostkirche angehört, arbeitete seit zwei Jahren eng mit dem Mufti der muslimischen Gemeinschaft von Karjatain im örtlichen Versöhnungskomitee zusammen. Die Stadt, die etwa 100 Kilometer westlich von Palmyra liegt, war bisher unzerstört geblieben. Zum Jahreswechsel 2013/2014 hatte das Kloster Deir Mar Elian Hunderten Vertriebenen aus umliegenden Dörfern Zuflucht geboten. Wie Pater Jacques der Autorin im vergangenen Dezember in Homs berichtet hatte, waren seit Herbst 2014 wiederholt Drohungen auf die Häuser von christlichen Einwohnern geschmiert worden. Urheber, so sagte der Priester, seien Anhänger des IS gewesen, die bekannt seien und mit denen man rede.

Palmyra und Karjatain liegen in der Provinz Homs, der größten Syriens, an der zentralen Ost-West-Verbindung des Landes. An dem Überfall auf Palmyra, das auch Tadmur genannt wird – beide Namen verweisen auf die Dattelpalmen der Oasenstadt –, sollen mindestens 5.000 IS-Kämpfer beteiligt gewesen sein. Dieser Übermacht war die syrische Armee nicht gewachsen, die derzeit nach Angaben aus Sicherheitskreisen an rund 160 Fronten gleichzeitig kämpft. Auch einen erneuten IS-Überfall auf den syrisch-irakischen Grenzübergang Al-Tanf (Al-Waled) konnte die Armee dem Anschein nach nicht abwehren. Das zumindest berichtet der in Großbritannien ansässige Rami Abdulrahman von der sogenannten Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte der BBC. Von seiten der syrischen Streitkräfte gab es dazu keine Stellungnahme. Sollten die Angaben den Tatsachen entsprechen, hätte Damaskus die Kontrolle über den letzten Grenzübergang in den Irak verloren. Möglich ist allerdings auch ein taktischer Rückzug, um zu einem späteren Zeitpunkt wieder die Kontrolle zu erlangen.

Mit einer Überraschungsoperation gelang es der syrischen Armee derweil am Freitag, eine Blockade der mit Al-Qaida verbündeten Al-Nusra-Front um das Nationale Krankenhaus in Dschisr Al-Schughur in der Provinz Idlib zu durchbrechen, um eingeschlossene und verletzte Soldaten zu evakuieren. Die Al-Nusra-Front wird von der Türkei, Katar und neuerdings auch von Saudi-Arabien unterstützt. Zusammen mit Kampfverbänden aus Tschetschenien und dem Kaukasus sowie mit anderen islamistischen Gruppen hatte die Miliz für den Einmarsch in Idlib im April eine »Islamische Eroberungsarmee« mit Tausenden Kämpfern aufgestellt. Feuerschutz erhielt die Truppe von der türkischen Armee, die der NATO angehört.

Der IS hat inzwischen weite Wüstengebiete zwischen Syrien und Irak unter seine Kontrolle gebracht. Nördlich grenzt das Gebiet an die Türkei, im Süden an Saudi-Arabien. Beide Staaten unterstützen die Terrormiliz de facto. Für Syrien sind vor allem der Verlust der Ölquellen im Osten des Landes, die Gefährdung der Gasproduktion und die häufigen Angriffe auf die Stromversorgung eine schwere Belastung. Der IS setzt praktisch fort, was die USA und die EU mit Wirtschaftssanktionen 2011 begonnen hatten, um die Regierung von Präsident Baschar Al-Assad unter Druck zu setzen. Berichte mehrerer Nachrichtenagenturen, nach denen der IS rund 50 Prozent des syrischen Territoriums kontrolliert, lassen allerdings unerwähnt, dass in diesen Gebieten die Macht von Stammesverbänden am größten ist. Die Zivilbevölkerung, die den IS-Überfällen im Osten des Landes entkommen konnte, flüchtete in die Regionen Syriens, die weiter von der syrischen Armee kontrolliert und von der Regierung versorgt werden können.