Neue Zürcher Zeitung, 22.05.2015 http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/erdogan-steht-seinem-land-im-weg-1.18546941 Türkische Wirtschaft Erdogan steht seinem Land im Weg Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wird für die türkische Wirtschaft zusehends zur Hypothek. Das von ihm geforderte Präsidialsystem würde diese Belastung noch erhöhen. von Thomas Fuster Über den Sieger der am 7. Juni in der Türkei stattfindenden Parlamentswahlen kann es keine Zweifel geben: Zum vierten Mal in Folge wird die von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mitgegründete Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) die meisten Stimmen gewinnen. Unklar bleibt allein, ob die seit 2002 allein regierende Partei erneut eine absolute Mehrheit erobern kann und ob allenfalls gar eine «Supermehrheit» von drei Fünfteln resultiert. Letztere würde der AKP ermöglichen, die Verfassung zu ändern. Wie eine solche Verfassungsänderung aussehen könnte, weiss Erdogan schon recht genau: Er will nämlich die parlamentarische Demokratie durch ein Präsidialsystem ersetzen, das dem Staatschef – lies: Erdogan – weitreichende Vollmachten zuschanzt. Eine vielköpfige Führung sei der wirtschaftlichen Entwicklung hinderlich, begründet Erdogan. Das Land müsse straffer, wirksamer geführt werden, wie ein Unternehmen. Der Präsident empfiehlt sich dem Wahlvolk als CEO der Türkei AG. Erlahmte Reformkraft Doch wäre Erdogan ein guter Firmenchef? Wohl kaum. Auch ein CEO sollte Widerspruch dulden, nicht auf Alleinherrschaft pochen, die Grundprinzipien der Ökonomie akzeptieren und gegen Selbstüberschätzung gefeit sein. All diese Eigenschaften fehlen Erdogan, der seine präsidiale Rolle schon heute weit extensiver ausfüllt, als dies die Verfassung vorsieht. Zwar hat er sich anfänglich durchaus verdient gemacht um die türkische Wirtschaft. Ein Jahr nach der schweren Finanzkrise von 2001 an die Regierungsmacht gewählt, machte die AKP zunächst vieles richtig: Mit Unterstützung des Internationalen Währungsfonds wurde der Haushalt entschlackt, der Wechselkurs flexibilisiert, der Bankensektor reformiert, die Unabhängigkeit der Zentralbank gestärkt. Doch all dies ist lange her. Jede Wiederwahl schwächte die Reformkraft zusätzlich. Zudem agierte Erdogan nach jedem Wahlerfolg noch eine Spur selbstherrlicher, gefallsüchtiger, autoritärer. Längst stellt der 61-Jährige eine Hypothek dar für Gesellschaft und Wirtschaft. Investoren sorgen sich um die Rechtssicherheit im Land und halten sich mit Engagements zurück. Der konfrontative Kurs des Präsidenten gegen den Westen, die Zensurierung des Internets, die Politisierung der Justiz, die Inhaftierung regierungskritischer Journalisten und die Verhängung milliardenschwerer Bussen gegen Medienhäuser, die Denkfaulheit nicht als Tugend erachten, sind ungeeignet, Vertrauen in den Rechtsstaat schöpfen zu lassen. Kommt hinzu, dass Erdogan auch wirtschaftspolitisch immer erratischer agiert. Legte der erfolgsverwöhnte Politiker zu Beginn seiner Regierungszeit die Wirtschaftspolitik noch in die Hände kompetenter und liberaler Parteikollegen wie Ali Babacan, reklamiert er nun zusehends einen Führungsanspruch auch bei Wirtschaftsfragen. Von Ökonomie versteht Erdogan indes wenig, und als Staatspräsident – ein traditionell eher zeremonielles Amt – hätte er hiezu eigentlich auch wenig zu sagen. Wirre Verschwörungstheorien Von präsidialer Zurückhaltung kaum etwas spüren kann die formell unabhängige Zentralbank. Mit wirren Argumenten – etwa der Überzeugung, die hohe Inflation sei eine Folge zu hoher Zinsen, oder der fixen Idee, die Türkei werde von einer zwielichtigen Zins-Lobby bedroht – fordert Erdogan die Währungshüter zu Zinssenkungen auf. Wehren sie sich, werden sie als Verräter gescholten. Der türkischen Lira ist dieser Streit nicht förderlich. Im Vorjahresvergleich hat die Währung gegenüber dem Dollar um 18 Prozent an Wert eingebüsst. Die positive Wirkung tieferer Erdölpreise, für das stark von Energieimporten abhängige Land ein Segen, ist daher in hohem Mass verpufft. Das Vertrauen der Konsumenten bewegt sich auf dem tiefsten Niveau seit fünf Jahren, während die Arbeitslosenquote mit 11 Prozent nahe einem Fünf-Jahre-Hoch liegt. Auch das Wirtschaftswachstum verharrt mit knapp 3 Prozent weit unter dem langfristigen Potenzial. Gewiss, der verblassende Glanz
der türkischen Wirtschaft kann nicht ausschliesslich Erdogan angelastet
werden. Die Kriege in den Nachbarländern Syrien und dem Irak, aber auch
die anhaltend schwache Nachfrage der EU, wohin fast die Hälfte der türkischen
Exporte fliesst, sorgen seit Jahren für ein angespanntes Umfeld. Dennoch,
die Wirtschaftsprobleme sind zu einem gewichtigen Teil hausgemacht und
sind politischer Natur. Damit geht ein Imageschaden einher, der für die
Türkei deshalb besonders riskant ist, weil das Land zur Finanzierung seines
chronischen Leistungsbilanzdefizits auf den steten Zustrom ausländischen
Kapitals angewiesen ist. Solche Zusammenhänge interessieren Erdogan indes
weniger als gigantomanische Bauprojekte, mit denen er sein Erbe in Beton
zu giessen versucht. Dem Land bringen diese Projekte kaum etwas, dem Ego
des Präsidenten jedoch viel. Die Türkei braucht daher kein Präsidialsystem,
sondern eine Zähmung des ausser Kontrolle geratenen Staatschefs.
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