Berliner Zeitung, 25.05.2015

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Pressefreiheit in der Türkei

Angriff auf die letzten ihrer Art

Von Frank Nordhausen

Vor den Parlamentswahlen in der Türkei werden Befürchtungen laut, dass auch die letzten großen unabhängigen Medien des Landes auf Regierungslinie gebracht werden sollen.

Knapp zwei Wochen vor den entscheidenden Parlamentswahlen in der Türkei werden Befürchtungen laut, dass auch die letzten großen unabhängigen Medien des Landes auf Regierungslinie gebracht werden sollen. Das hat mit der Reaktion des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf einen Artikel in der renommierten konservativ-liberalen Tageszeitung Hürriyet zu tun. Dabei ging es um das Todesurteil gegen den gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi in Kairo Mitte Mai.

Unmittelbar nach dem Richterspruch hatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf einer Wahlkundgebung empört gewettert: „Sie haben die Todesstrafe gegen einen Präsidenten verhängt, der mit 52 Prozent der Stimmen gewählt wurde.“ Einen Tag später erschien die Zeitung Hürriyet mit einer Schlagzeile, die seine Worte exakt wiederholte: „Die Welt unter Schock! Todesstrafe gegen einen Präsidenten, der mit 52 Prozent gewählt wurde.“

Doch wenn zwei das Gleiche sagen, müssen sie nicht das Selbe meinen. Der für seine Dünnhäutigkeit bekannte Erdogan attackiert Hürriyet seither nahezu täglich, weil die Zeitung ihn angeblich mit Morsi gleichgesetzt und ihm dessen Schicksal angedroht habe. Denn wie der Islamist Morsi bei den ersten freien Wahlen Ägyptens 2012 mit fast 52 Prozent der Stimmen gewählt wurde, so errang der Islamist Erdogan bei den letzten Parlamentswahlen der Türkei 2011 ein fast identisches Ergebnis.

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu nannte den Hürriyet-Artikel bei einer Wahlrede sogar einen „Aufruf zum Militärputsch“ – und gegen Putschisten erlaubt ein neues Sicherheitsgesetz notfalls die Enteignung. Ein Staatsanwalt ermittelt bereits gegen das Flaggschiff des türkischen Journalismus.
Doppeldeutiger Titel

Mag Hürriyet auch doppeldeutig getitelt haben, die Reaktion der Regierung war überscharf und unverhältnismäßig. Die Zeitung wehrte sich am Dienstag vergangener Woche mit einem Leitartikel gegen die Attacken des Staatschefs. „Was wollen Sie von uns?“, hieß es darin. „Werden Sie uns verbannen? Warum sollen wir in Furcht leben?“ Hürriyet erhielt inzwischen prominente Unterstützung. Die New York Times kritisierte am Sonnabend die Angriffe und kommentierte: „Herr Erdogan erscheint zunehmend feindlich gegenüber dem Aussprechen der Wahrheit. Die USA und die übrigen Nato-Partner der Türkei sollten ihn drängen, diesen destruktiven Weg zu verlassen.“

Der frühere Minister- und jetzige Staatspräsident Erdogan steht für eine lange Geschichte der Einschüchterung der Medien. In keinem anderen Land Europas sitzen so viele Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Hürriyet (Freiheit) ist die letzte große unabhängige Qualitätszeitung des Landes, seit ihr Konkurrent Milliyet 2012 an Erdogan-Getreue verkauft wurde. Der Hürriyet-Verlag Dogan-Medien wurde bereits vor einigen Jahren wegen seiner AKP-kritischen Berichterstattung von der Erdogan-Regierung mit dem wirtschaftlichen Ruin bedroht. Damals brummte die Steuerbehörde dem Verlag eine Steuernachzahlung von umgerechnet zwei Milliarden Euro auf, die erst später auf 400 Millionen Euro gesenkt wurde. Der Warnschuss saß.

Seither kritisieren die Dogan-Medien die Regierung zwar weiterhin, aber deutlich moderater als vordem. Und vermutlich geht es bei den Angriffen auf Hürriyet auch nicht nur um die mit 400 000 Exemplaren Auflage drittgrößte türkische Zeitung. Der Dogan-Mediengruppe gehören mit den Fernsehsender CNN Türk, Kanal D und TNT auch noch einige der letzten TV-Sender, die Oppositionspolitikern noch ein Massenforum bieten.
Weitere Attacken

Und es blieb nicht bei den Attacken auf die Dogan-Gruppe. Zeitgleich forderte ein Staatsanwalt in Ankara vergangene Woche die staatliche Kommunikationsbehörde auf, einer Reihe anderer oppositioneller Fernsehsender den Zugang zu den staatlich kontrollierten TV-Satelliten zu sperren – und sie damit praktisch abzuschalten.

Der Vorstoß richtet sich vor allem gegen Sender der sogenannten Gülen-Bewegung, Anhänger des in den USA lebenden Islampredigers Fethullah Gülen, denen Erdogan vorwirft, einen Putsch gegen die Regierung geplant zu haben – ohne dass es dafür Beweise gibt. Somit konzentrieren sich die Angriffe auf die Gülen- und Dogan-Medien, die zwei größten Mediengruppen der Türkei, die noch keine Hofberichterstattung betreiben. „Wenn die Regierungspartei ihre Position bei den Wahlen halten kann, werden wohl keine unabhängigen Medien mehr übrig bleiben“, schrieb der prominente Menschenrechtler Orhan Kemal Cengiz in der Zeitung Zaman.

Schon jetzt kann nicht wirklich von fairen Bedingungen im Wahlkampf die Rede sein. Beobachter haben ausgerechnet, dass der AKP und dem trotz Verfassungsverbot für die Partei werbenden Staatspräsidenten in den staatsnahen Kanälen zehn Mal so viel Sendezeit wie der Opposition zur Verfügung steht. Dort überbieten sich zudem Erdogan-Vasallen mit Huldigungen an ihr Idol, in denen sie die Wahlen zum Kampf auf Leben und Tod erklären.

Der Medienmogul Ethem Sancak erklärte Erdogan seine „maskuline Liebe“ und pries ihn wie einen Propheten: „Ich sage zu Erdogan: Mögen meine Mutter, mein Vater, meine Frau und meine Kinder für dich geopfert werden.“ Und der Präsidentenberater Yigit Bulut sagte ebenfalls live im Fernsehen: „Ich habe zwei Pistolen und massenhaft Munition. Niemand kommt an den Präsidenten, bevor er mich nicht getötet hat.“