welt.de, 01.06.2015 http://www.welt.de/politik/ausland/article141771841/Assads-Sturz-ist-so-nah-wie-nie.html Assads Sturz ist so nah wie nie Bisher konnte sich der Diktator auf seine ausländischen Verbündeten verlassen: die Russen und die Hisbollah. Doch diese Allianz scheint nun zu bröckeln. Bedeutet das eine Wende im syrischen Krieg? Von Gil Yaron, Tel Aviv Nach einem Luftangriff auf Dschisr al-Schugur: Die syrische Luftwaffe habe mit Bombardements versucht, die Einnahme der Stadt durch die Extremisten zu verhindern, sagen Einwohner Es wäre nicht das erste Mal, dass im nun vier Jahre andauernden syrischen Bürgerkrieg verfrühte Siegesmeldungen die Runde machen. Und so klang auch das Interview, das Abu Muhammad al-Golani, Führer der Nusra-Front, vor einer Woche dem Satellitensender al-Dschasira gewährte, nach Routine: "Ich versichere Ihnen: Assads Sturz wird nicht mehr lange auf sich warten lassen", beteuerte der Chef des syrischen Ablegers des Terrornetzwerks al-Qaida. Doch es wäre ein Fehler, Golanis Worte als Imponiergehabe abzutun. Denn der blutigste Konflikt in Nahost seit Jahrzehnten und die schlimmste humanitäre Katastrophe des 21. Jahrhunderts könnten tatsächlich vor einer entscheidenden Phase stehen: Golanis Siegesgewissheit geht einher mit Panik in Assads Lager. Die Dynamik auf dem Schlachtfeld scheint klar: Konnte das Regime sich früher auf wenige Brennpunkte konzentrieren, muss es inzwischen an vielen Fronten gleichzeitig kämpfen. Längst gehören Gefechte rund um die Hauptstadt Damaskus zum Alltag. Auch Assads (Link: http://www.welt.de/themen/baschar-al-assad/) Hochburg Latakia an der Mittelmeerküste wird immer häufiger Ziel von Angriffen. Sogar das Staatsfernsehen meldet "Rückzug" Im Mai erst gelang es den islamistischen Rebellengruppen, die Stadt Idlib einzunehmen und die Regimetruppen in Syriens zweitgrößter Stadt Aleppo einzukesseln. Zeitgleich fiel im fernen Nordosten des Landes der letzte Stützpunkt des Regimes in Dschisr al-Schugur, und die Terrormiliz Islamischer Staat (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) (IS) eroberte die Stadt Palmyra und schlug Assads Soldaten in die Flucht. So entscheidend war die Niederlage, dass Syriens staatliches Fernsehen im Gegensatz zu früher erstmals keine "baldige Rückeroberung" in Aussicht stellte, sondern schlicht vom "Rückzug" berichtete. Der IS beherrscht jetzt mehr als die Hälfte des Staatsgebietes. Schätzungen zufolge befinden sich damit 80 Prozent der Öl- und Gasreserven Syriens in Händen der Terrormiliz. Das Regime kontrolliert gerade einmal acht Prozent. Assads Gegner besitzen dank Waffenlieferungen aus den Golfstaaten erstmals panzerbrechende Raketen und fügen Syriens Truppen erhebliche Verluste zu. Zudem erbeuteten sie schwere Waffen und sind somit besser gerüstet denn je. Außerdem stimmen sie ihre Handlungen gewinnbringend miteinander ab. Das merken auch Assads wichtigste Verbündete. Vier Faktoren hielten Syriens Präsidenten so lang an der Macht: Diplomatische Rückendeckung und logistische Hilfe aus Russland, massive Unterstützung aus dem Iran, direkte Militärhilfe der libanesischen Hisbollah-Miliz und die Bereitschaft von Syriens Minderheiten, auf Assads Seite mitzukämpfen, weil sie den Teufel der radikal-islamischen Milizen mehr fürchteten als den Beelzebub aus Damaskus. Russland ändert womöglich seine Strategie Jetzt zeigt das Bündnis erste Risse. Laut einem – bislang unbestätigten – Bericht der arabischen Zeitung "al-Scharq al-Aussat" hat Russland die Hälfte seines diplomatischen Personals aus Damaskus abgezogen. Mehr als 100 Militärberater und ihre Familien hätten Syrien verlassen, schreibt das Blatt. Moskau bestätigte nur, dass 66 syrische Staatsbürger und "Bürger anderer Nationalitäten" aus Latakia ausgeflogen wurden. Zudem sollen die Russen aufgehört haben, die Sukhoi-Bomber (Link: http://de.wikipedia.org/wiki/Suchoi_Su-34) der syrischen Luftwaffe zu warten – eine der wichtigsten Waffen des syrischen Regimes. Verteidigungsminister Fahd Dschassim al-Freidsch soll daraufhin eiligst nach Teheran gereist sein, um den Iran zu bitten, in Moskau zu intervenieren. Arabische Medien werten das als Kehrtwende in Moskaus Nahostpolitik: Russland suche eine Annäherung an die arabischen Golfstaaten, die aufseiten der Rebellen stehen, um die westliche Sanktionen zu umgehen. Doch die Araber wollen, dass Moskau sich von Assad distanziert. Was nun vielleicht geschieht: Aus russischer Sicht war Assad wichtig, weil er Moskau die Nutzung des Militärhafens in Tartus gewährte, damit Russlands Flotte ein Gegengewicht zu den USA im Mittelmeer schaffen kann. Doch nun sicherte Moskau sich die Nutzung von Zyperns Häfen – als Alternative zu Tartus. Prompt änderte sich Moskaus Rhetorik. Gab es zu Assad als Präsident bislang offiziell keine Alternative, erklärte ein russischer Sprecher nun: "Am wichtigsten ist die Wahrung unserer strategischen Interessen, die Sicherung der Minderheiten und die Einheit Syriens (Link: http://www.welt.de/themen/syrien-krise/) und der Kampf gegen die Islamisten." Kein Wort mehr von Assad. Hassan Nasrallah hält panische Reden Ganz im Gegensatz zum Wortschwall Hassan Nasrallahs, Chef der libanesischen Hisbollah-Miliz, die in den vergangenen zwei Jahren für Assad die wichtigsten militärischen Erfolge errang. Während sein Widersacher Golani vom nahen Sieg schwelgte, sprach Nasrallah von einer "existentiellen Gefahr" für seine Organisation. "Wir haben drei Optionen", sagte er in einer Ansprache. Man könne "kapitulieren und unsere Frauen und Mädchen zu Geiseln machen. Oder fliehen und, erniedrigt und planlos, von Land zu Land ziehen." Bleibe nur die Option "noch härter zu kämpfen als wir es bisher taten". Dabei steckt die Miliz ohnehin tief in Syriens Bürgerkrieg. Von ihren 5000 Elitekämpfern sollen bereits an die 1000 gefallen sein, unter der insgesamt 20.000 Mann starken Truppe macht sich Unmut breit. Längst reichen ihre Kräfte nicht mehr aus, um alle Fronten zu besetzen. An der Seite der Hisbollah (Link: http://www.welt.de/themen/hisbollah/) kämpfen neuerdings auch schlecht ausgebildete palästinensische Söldner. Selbst die Mullahs haben Zweifel Zudem hat die Miliz angeblich begonnen, Minderjährige für einen Monatslohn von 500-2000 US-Dollar zu rekrutieren. Doch die Mittel werden knapp: Vergangenen Monat bat die Organisation mit einem Flugblatt in Beirut um Spenden für ihre Soldaten. Nasrallah fordert verzweifelt Opferbereitschaft: Sogar wenn die Hälfte aller Schiiten, ja sogar drei Viertel von ihnen sterbe und der Rest "ein würdevolles, starkes und edles Leben führen kann – ist das die bessere Option." Nasrallahs Reden stoßen selbst bei seinen Anhängern auf Widerstand. Längst nicht alle Schiiten im Libanon (Link: http://www.welt.de/themen/libanon-krise/) wollen ihre Söhne in Syriens Bürgerkrieg schicken, die Kritik am einst allmächtigen Milizenchef nimmt auch im eigenen Lager zu. Doch noch steht Assads wichtigster Verbündeter, Iran, zu ihm. Teheran soll erwägen, weitere Truppen und Berater nach Syrien zu entsenden. Doch selbst den Mullahs fällt das zusehends schwerer, denn auch ihre Revolutionswächter sind auf immer mehr Fronten in Syrien, im Irak und nun auch im Jemen verteilt. Kein Wunder also, dass Assads
Gegner frohlocken. Schon heißt es in Berichten aus Saudi-Arabien (Link:
http://www.welt.de/themen/saudi-arabien-politik/) , Syriens Präsident
habe seine Anhänger angewiesen, aus Damaskus ins Küstengebiet zu fliehen,
wo Assads Minderheit der Alawiten in einem kleinen Rumpfstaat ihre letzte
Schlacht austragen will. Diese Berichte scheinen zwar verfrüht. Doch steht
außer Zweifel, dass Assads Überlebenskampf noch nie so verzweifelt war
wie heute.
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