Der Standard, 03.06.2015

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"Islamischer Staat" gegen Nusra-Front gegen Assad

Analyse | Gudrun Harrer

Der IS stoppte den Vormarsch der von der Nusra-Front dominierten Rebellen in Westsyrien. Assad soll den IS durchgelassen haben

Damaskus/Wien – Seit dem Wochenende stockt der Siegeszug der syrischen "Eroberungsarmee", die das Assad-Regime in den letzten Wochen in der Provinz Idlib schwer geschlagen hatte: Kräfte des "Islamischen Staats" (IS) haben in der Nähe von Aleppo mit einer Offensive gegen die Rebellenkoalition begonnen. Nicht nur die syrische Opposition, auch der Westen beschuldigt nun das syrische Regime, dem IS den Weg frei gemacht zu haben, um den eigenen Zerfall aufzuhalten.

Die syrische Regimearmee wird von manchen Beobachtern als in Auflösung begriffen bezeichnet. Laut "Asharq Al-Awsat" distanziert sich Russland bereits vom Regime und hat den Abzug von Beratern aus Syrien eingeleitet; auch der Iran schien sich zuletzt mit Unterstützung für Präsident Bashar al-Assad zurückzuhalten. Es gibt jedoch aktuelle Hinweise, dass nun, angesichts der Gefährdung des Regimes, die iranische Militärhilfe - inklusive Entsendung von Pasdaran-Kämpfer - wieder hochgefahren wird.

Die mit dem Iran verbündete libanesische Hisbollah hat bereits vor einiger Zeit angekündigt, Assad weiter verteidigen zu wollen; in ganz Syrien, nicht nur in der Nähe der libanesischen Grenze, wo sie gegen die Nusra-Front und andere sunnitische Jihadisten kämpft.

"Eroberungsarmee" von Nusra-Front dominiert

Der Chef der international als wichtigste syrische Oppositionsgruppe anerkannten "Syrischen Nationalen Koalition", Khaled Khoja, beklagte in einer Pressekonferenz den IS-Vormarsch, der den "Ruhm, die Würde und den Sieg" der Rebellen zerstöre. Was Khoja dabei nicht ansprach, ist, dass die "Eroberungsarmee" von der Nusra-Front dominiert wird, deren Chef Abu Mohammed al-Jolani in einem Al-Jazeera-Interview vor einer Woche seine Zugehörigkeit zu Al-Kaida und ihrem Führer Ayman al-Zawahiri bestätigte.

Al Jazeera - und Katar, denn die Illusion von der Unabhängigkeit des Medienimperiums ist längst zerschlagen - wurde für die Ausstrahlung des Interviews scharf kritisiert: Es sei ein Versuch, die Nusra-Front, und damit Al-Kaida, salonfähig zu machen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Unterstützung für die "Eroberungsarmee" - und damit wissentlich für die Nusra-Front - von der Türkei, Katar und den anderen Golfstaaten kommt.

"Sicherheitszone"

Angestrebt wird eine "Sicherheitszone" in Westsyrien: Dass sie nicht nur von der Nusra-Front erobert, sondern wohl auch administriert würde, scheint hingenommen zu werden.

Zuletzt hatte es Gerüchte gegeben, dass sich die Nusra-Front, um als mögliche Alternative zum Assad-Regime anerkannt zu werden, von Al-Kaida lossagen würde: Davon war beim Interview al-Jolanis mit Al-Jazeera nicht die Rede. Dennoch versuchte er seine Organisation vom "Islamischen Staat" abzuheben. Immerhin haben beide, IS und Nusra-Front, eine gemeinsame Mutterorganisation, den früheren "Islamischen Staat im Irak".

Existenz der Gruppe "Khorasan" bestritten

Jolani betonte etwa, dass seine Gruppe nur gegen das Assad-Regime kämpfe und dass Westsyrien – das die Nusra-Front vergangene Woche noch zu erobern im Begriff war, bis die IS-Offensive kam – nicht als Ausgangspunkt für einen Krieg gegen den Westen dienen werde. Das sei der Befehl Zawahiris. Jolani bestritt auch die Existenz einer Gruppe namens "Khorasan" in ihren Reihen, die laut USA antiwestliche Attentate vorbereitet und im Herbst 2014 mehrmals von den USA aus der Luft angegriffen wurde.

Jolani versuchte auch, die Nusra-Front als Trägerin einer im Vergleich mit jener des IS milderen Islaminterpretation darzustellen. Sie bleibt radikal genug. Die Angehörigen von historisch aus dem Islam stammenden Religionsgemeinschaften wie Alawiten und Drusen würde die Nusra-Front demnach nicht umbringen - aber sie müssten sich zum wahren Islam bekehren. Die Christen könnten bleiben, Jolani ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass für sie in einer sunnitischen Gemeinschaft die - von modernen islamischen Juristen als obsolet erklärte - Kopfsteuer-Regelung gelten würde.

Botschaft an die Moderaten

Jolani sprach sich gegen jede Form von Syrien-Verhandlungen aus, die der Uno-Sondergesandte Staffan de Mistura derzeit wieder in Gang zu bringen versucht. Das ist eine Botschaft an die "gemäßigten" Rebellen, die am westlichen Tropf hängen - in Syrien aber von der militärischen Stärke der Nusra-Front profitieren.

Der zweite Teil des Interviews, das Jolani, der sein Gesicht nicht zeigte, "in befreitem Gebiet" in Syrien, vielleicht in Idlib, gab, soll noch diese Woche ausgestrahlt werden. Darin will er sich unter anderem zum Iran äußern. (Gudrun Harrer, 3.6.2015)