spiegel.de, 04.06.2015

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Frauenprotest in der Türkei: Rücken, die Erdogan so gar nicht entzücken

Von Hasnain Kazim, Istanbul

Frauen kehren dem türkischen Präsidenten Erdogan bei einem Wahlkampfauftritt den Rücken zu. Der reagiert erbost - und erntet nun Spott bei Twitter. Dort trudeln reichlich Hinteransichten ein.

Eigentlich kann ein schöner Rücken ja entzücken. Gänzlich unentzückt, dafür mächtig erzürnt reagierte dagegen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem Auftritt in Igdir, im äußersten Osten der Türkei. Eine Gruppe von Frauen, an der seine Entourage dort vorbeifuhr, drehte ihm demonstrativ den Rücken zu und machte dabei das Victory-Zeichen.

Eine alberne Geste, könnte man meinen, eine Kleinigkeit, nicht der Rede wert, selbst wenn sie, wie mehrere Blogger schreiben, als Einladung zum Sex verstanden werden könnte. Doch Erdogan ließ sich provozieren, erwähnte das Thema bei seinem Auftritt ausdrücklich: "Wenn ihr auch nur ein Fünkchen Höflichkeit, Ehre und Kompetenz habt, dann solltet ihr wissen, dass der Ort für Politik das Parlament ist", kritisierte er die Aktion der Frauen.

Mit anderen Worten: Sie hätten nicht das Recht, ihn auf diese Weise zu kritisieren. Bei einem weiteren Auftritt am Dienstag wiederholte er seine Kritik an den Frauen.

Nach Berichten örtlicher Reporter handelte es sich bei den Frauen um Mitglieder der pro-kurdischen HDP, die am Sonntag bei den Wahlen in der Türkei womöglich die Zehnprozenthürde nimmt und damit die Regierungsmehrheit der AKP bedroht. Erdogan ist als Staatspräsident offiziell zwar parteilos und zu Neutralität verpflichtet, macht aber dennoch Wahlkampf für die AKP.

Jetzt reagieren Frauen aus der gesamten Türkei und posten auf Twitter unter dem Hashtag #SirtimiziDönüyoruz (in unterschiedlichen Schreibweisen) - auf Deutsch: Wir drehen [dir] unseren Rücken zu - Bilder ihrer Rücken. Dort finden sich inzwischen Bilder von einzelnen Frauen, Gruppen, aber auch Männer machen mit. Auch allerlei Tierrücken werden munter veröffentlicht. Der Hashtag führte die Twitter-Charts in der Türkei zeitweise an und schaffte es weltweit bis auf Platz drei.

HDP-Co-Chefin Figen Yüksekdag erklärte, man müsse "diesem Präsidenten weiterhin den Rücken zuwenden". In den sozialen Medien deuteten viele die wütende Reaktion Erdogans als "Angst vor einem Machtverlust". Umfragen lassen allerdings erwarten, dass die AKP wieder stärkste Kraft wird. Ob sie ihre absolute Mehrheit verliert, hängt tatsächlich vom Abschneiden der HDP ab.

Schon öfter haben Frauen in der Türkei per Twitter gegen Erdogan protestiert. Im Juli 2014 sagte Vizepremierminister Bülent Arinc, Frauen sollten in der Öffentlichkeit nicht laut lachen. "Wo sind unsere Mädchen, die leicht erröten, ihren Kopf senken und die Augen abwenden, wenn wir in ihre Gesichter schauen, und somit zu einem Symbol der Keuschheit werden?", sagte er. Daraufhin überschwemmten lachende Türkinnen das Netz mit ihren Bildern.