welt.de, 10.06.2015 http://www.welt.de/politik/ausland/article142251928/Die-neue-Strategie-der-USA-gegen-den-IS.html Die neue Strategie der USA gegen den IS Im Irak kündigen die Amerikaner eine Änderung ihrer militärischen Strategie an. Die Rückeroberung von Mossul ist verschoben, und in der Provinz Anbar soll nun eine eigene Ausbildungsbasis entstehen. Von Clemens Wergin Am Montag beim G-7-Treffen auf Schloss Elmau hatte US-Präsident Barack Obama noch zugegeben, keine "komplette Strategie gegen den Islamischen Staat (IS)" zu haben. Damit fing er sich in der Heimat heftige Kritik ein. Doch nun kündigt sich zumindest eine deutliche Kursänderung im Irak im Kampf gegen die Terrororganisation an. Wie die "New York Times" (Link: http://www.nytimes.com/2015/06/10/world/middleeast/us-adding-military-advisers-to-reclaim-iraqi-city-officials-say.html?hp&action=click&pgtype=Homepage&module=first-column-region®ion=top-news&WT.nav=top-news&_r=0) und das "Wall Street Journal" (Link: http://www.wsj.com/articles/u-s-prepares-plan-to-send-hundreds-more-troops-to-iraq-1433886530) berichten, will die US-Regierung ihre Bemühungen derzeit nicht in erster Linie auf die Rückeroberung der Stadt Mossul im Norden des Landes richten, sondern sich stattdessen auf die Region Anbar konzentrieren, die bis vor die Tore der irakischen Hauptstadt Bagdad reicht. Der Auslöser für diesen Kurswechsel war offenbar der Fall der Stadt Ramadi Mitte Mai, der sowohl die Amerikaner wie auch die irakische Regierung überrascht hatte. US-Verteidigungsminister Ash Carter hatte nach der Eroberung der Stadt durch den IS den mangelnden Kampfeswillen der irakischen Armee kritisiert, die irakische Regierung wies das als falsch zurück. Nun wollen die Amerikaner mehr Unterstützung anbieten. Sie planen, irakische Armeekräfte und sunnitische Stammeskämpfer zu trainieren, um die Rückeroberung von Ramadi und anderen Städten in Anbar zu ermöglichen. Dafür wollen die Amerikaner in Taqaddum in der Nähe der Stadt Habbanija ein neues Ausbildungslager errichten. Laut Angaben des "Wall Street Journal" sollen etwa 500 zusätzliche Militärberater dafür in den Irak geschickt werden. Derzeit sind 3080 amerikanische Berater und Ausbilder im Irak. Diese Entscheidung ist offenbar das Ergebnis eines seit mehreren Monaten andauernden Diskussionsprozesses innerhalb der Obama-Regierung, in dem es darum ging, eine Strategie zu finden, wie der IS (Link: http://www.welt.de/themen/islamischer-staat/) zurückgedrängt werden könnte. Bisher hatten sich die Planungen auf die Rückeroberung der Großstadt Mossul im Norden konzentriert, die im vergangenen Jahr nach der Flucht der irakischen Armee fast kampflos an den IS gefallen war. Ein Einsatz gegen den IS war zunächst für das Frühjahr dieses Jahres geplant gewesen, dann wegen mangelnder Kampfbereitschaft der irakischen Regierungstruppen jedoch auf diesen Herbst verlegt worden. Der Fall von Ramadi hat diesen Zeitrahmen aber nun erneut gesprengt. IS nur noch 100 Kilometer von Bagdad entfernt Offenbar haben die Amerikaner beschlossen, dass die Rückeroberung der nur 100 Kilometer vor Bagdad liegenden Stadt und weiterer Gebiete in der Provinz Anbar wegen der Nähe zur Hauptstadt derzeit wichtiger ist als Mossul – eine Offensive könnte auf 2016 verschoben werden. Der Sprecher des Außenministeriums, Admiral John Kirby, sagte am Dienstag, die Mission im Irak (Link: http://www.welt.de/themen/irak-politik/) könnte insgesamt drei bis fünf Jahre dauern. Obama hatte am Montag schon von der Notwendigkeit gesprochen, irakische Kräfte schneller für den Kampf gegen den IS auszubilden. Nun soll die bisher geplante Ausbildung und Ausrüstung von 5500 Stammeskämpfern in Anbar auf 10.000 ausgeweitet werden. Zudem sollen 3000 Soldaten rekrutiert werden, um die Reihen der siebten irakischen Armeedivision in Anbar aufzufüllen und die der achten Division in Habbanija. Die von vielen Experten kritisierten engen Regeln des US-Militärs sollen allerdings bestehen bleiben. Es sollen weiterhin keine US-Kampfeinheiten eingesetzt werden, auch nicht für die Zielaufklärung für US-Luftangriffe. Auch Spezialkräfte zur Unterstützung der irakischen Bemühungen bei der Rückeroberung Ramadis sowie Apache-Kampfhubschrauber sollen nicht zum Einsatz kommen. USA machen Hilfe vom Irak abhängig Das Konzept einer neuen US-Basis nahe der Frontlinie bei Ramadi folgt dem Vorbild einer Basis in der Nähe der Stadt Bahgdadi, wo es US-Soldaten in Zusammenarbeit mit irakischen Offizieren gelungen war, den IS zu vertreiben. Es handelt sich dabei nicht um eine pure Ausbildungsbasis, vielmehr sollen die Amerikaner dort spezifische Kampagnen der irakischen Kräfte beratend begleiten und auch bei der Ausarbeitung von operationellen Einsatzplänen behilflich sein. Die zusätzliche Hilfe hatten die Amerikaner (Link: http://www.welt.de/themen/usa-politik/) laut Informationen des "Wall Street Journal" von Zusagen der irakischen Regierung abhängig gemacht. Die Amerikaner erhoffen sich davon eine Wiederbelebung der 2005 gegründeten Awakening-Bewegung der sunnitischen Stämme, mit deren Hilfe es den amerikanischen Besatzungstruppen in den Folgejahren gelungen war, den irakischen Bürgerkrieg einzudämmen. Die schiitisch dominierte Maliki-Regierung hatte nach der Niederschlagung der terroristischen Kräfte und dem Abzug der US-Truppen dann aber die Versprechen nicht eingehalten, die gegenüber den sunnitischen Stämmen gemacht worden waren. Die daraus erwachsene Frustration unter Sunniten ist ein wichtiger Faktor, der den Siegeslauf des IS im Jahr 2014 im Irak erleichtert hat. Wie instabil die Lage derzeit
in der Provinz Anbar ist, hat sich am Dienstag erneut gezeigt, als zwei
mit Sprengstoffwesten ausgerüstete Attentäter Regierungsstellungen in
Amarija al-Falludschah angegriffen haben. Die Stadt ist eine der letzten
Bastionen der Regierungstruppen in der Provinz Anbar und liegt nur wenige
Dutzend Kilometer vor Bagdad. Den Angreifern gelang es, zwei Polizeioffiziere
und zwei Zivilisten zu töten, bevor sie selbst von Sicherheitskräften
niedergestreckt werden konnten.
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