spiegel.de, 10.06.2015

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Türkei: Verdächtiger nach Bombenanschlag verhaftet

Mindestens drei Menschen sind tot, mehr als 200 verletzt: Die Polizei hat nach zwei Sprengstoffanschlägen auf eine Kundgebung der prokurdischen Partei HDP in der Türkei einen Mann festgenommen. Nun wurde Haftbefehl erlassen.

Nach dem Doppelanschlag im südosttürkischen Diyarbakir auf eine Veranstaltung der prokurdischen Partei HDP sitzt ein Verdächtiger nun in Haft. Wie die Nachrichtenagentur DHA unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft meldete, werde der Mann der "vorsätzlichen Tötung" und der "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" beschuldigt. Details zum Motiv des Täters waren nicht bekannt. Er war am Wahlsonntag festgenommen worden.

Am Freitag, kurz vor der Parlamentswahl, waren in Diyarbakir zwei Sprengsätze hochgegangen. Die Nachrichtenagentur Anadolu hatte zunächst gemeldet, ein Trafo sei explodiert. Agrarminister Mehmet Mehdi Eker sprach dann von einem Attentat.

Teilnehmer der Veranstaltung waren bereits früh von einem Bombenanschlag ausgegangen. Ein Augenzeuge, der selbst schwer verletzt wurde, berichtete, er habe nach der Explosion Metallsplitter gesehen. Auch Krankenschwestern bestätigten, dass sie Splitterwunden behandeln mussten. Die Explosionen hatten sich kurz vor einer Rede von HDP-Chef Selahattin Demirtas ereignet.

Bei der Parlamentswahl vom Sonntag hatte die islamisch-konservative AKP von Staatschef Recep Tayyip Erdogan die absolute Mehrheit verloren; die AKP ist seit zwölf Jahren in der Türkei an der Macht. Die Kurdenpartei HDP überwand mit 13,1 Prozent die Zehn-Prozent-Hürde und schaffte es damit erstmals ins Parlament.

Die kurdische Opposition erhob am Mittwoch schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu stünden zunehmender Gewalt im kurdisch geprägten Südosten des Landes tatenlos gegenüber, sagte der HDP-Chef Demirtas im türkischen Fernsehen. "Es sieht fast so aus, als würden sie abwarten, bis das Land im Bürgerkrieg versinkt, um dann sagen zu können: 'Seht, wie wichtig die AKP ist'."

Tote bei Gewalt zwischen Kurden

Am Dienstag waren in Diyarbakir drei Menschen getötet worden. Zunächst hätten Unbekannte den Chef der kurdisch-islamistischen Hilfsorganisation Ihya-Der, Aytac Baran, vor seinem Haus erschossen, teilte das Innenministerium mit. Bei einem anschließenden Schusswechsel seien zwei weitere Menschen getötet worden.

Das Attentat löste schwere Zusammenstöße zwischen Barans Anhängern und HDP-Anhängern aus, bei denen mindestens zwei Menschen getötet wurden. Über deren Identität wurden zunächst keine Angaben gemacht. Zunächst hatten Krankenhausmitarbeiter von insgesamt vier Todesopfern gesprochen.

Beerdigung der Opfer der Auseinandersetzungen in Diyarbakir
Barans Anhänger machten die HDP für das Attentat verantwortlich. Deren Parteichef Demirtas verurteilte die Tat scharf und rief zur Ruhe auf. "Ein schmutziges Spiel wird gespielt. Alle Parteien sollten mit gesundem Menschenverstand handeln", schrieb der HDP-Chef auf Twitter. Baran sei vor seiner Ermordung von der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK bedroht worden, erklärte sein Anwalt laut türkischen Medienberichten. Die Jugendorganisation der PKK, YDG-H, bestritt auf Twitter jegliche Verantwortung und nannte das Attentat eine "Provokation".

Die Hilfsorganisation Ilhya-Der steht in Verbindung mit der islamistischen Gruppe Huda-Par, dem politischen Arm einer militanten kurdisch-sunnitischen Gruppierung. Die HDP gilt dagegen als PKK-nah. Zwischen Angehörigen der beiden Lager gibt es immer wieder Zusammenstöße.