junge Welt, 12.06.2015

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US-Truppen im Irak aufgestockt

450 Amerikaner sollen bei der Rückeroberung Ramadis helfen und sunnitische Milizen ausbilden

Von Knut Mellenthin

Das Pentagon hat am Mittwoch einen »bescheidenen Anstieg« der US-Truppen im Irak bekanntgegeben. In Wirklichkeit handelt es sich immerhin um eine Steigerung von fast 15 Prozent. Zu den derzeit rund 3.100 amerikanischen Militärangehörigen sollen bis zu 450 weitere kommen. Als Präsident Barack Obama das Karussell vor zehn Monaten in Gang setzte, befanden sich noch nicht einmal 1.000 US-Soldaten im Zweistromland.

Die 450 zusätzlichen Militärangehörigen sollen nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums ausschließlich in der westirakischen Provinz Anbar stationiert werden, deren Hauptstadt Ramadi Mitte Mai von Truppen des »Islamischen Staats« (IS) in Besitz genommen wurde. Die US-Amerikaner sollen, wie es offiziell heißt, die Iraker bei der Rückeroberung von Ramadi unterstützen.

Stationierungsort der 450 Soldaten soll der Luftwaffenstützpunkt Al-Taqaddum sein. Er liegt in der Nähe der Stadt Habbanijah, nur 37,4 Straßenkilometer von Ramadi entfernt. Seinen Namen, der vom arabischen Wort für »Fortschritt« kommt, verdankt Al-Taqaddum dem propagandistischen Feingefühl der US-Militärbehörden. Zu Zeiten Saddam Husseins hieß der Stützpunkt »Tammuz«, nach dem Monat, in dem sich die Baath-Partei 1963 an die Macht geputscht hatte. Nach der Besetzung im Jahre 2003 nannten die Amerikaner den Stützpunkt zunächst prosaisch »Forward Operating Base Ridgeway«, bevor sie ein Jahr später entschieden, den Ort umzubenennen, um ihm »ein arabisches Antlitz zu geben«.

Wie ein Pentagonsprecher am Mittwoch erläuterte, soll die US-Militärpräsenz in Al-Taqaddum, die innerhalb der nächsten zwei Monate hergestellt werden soll, zwei Zwecken dienen: Erstens soll sie der bei Ramadi operierenden 8. Irakischen Armeedivision »unmittelbare Beratung und Unterstützung leisten«. Zweitens soll sie »die Verbindung zwischen den sunnitischen Stämmen der Provinz Anbar und der Regierung und dem Militär Iraks erleichtern«.

Die USA unterhalten im Irak bereits fünf Ausbildungsstätten. Al-Taqaddum soll die sechste werden, aber sich in ihrer Aufgabenstellung deutlich von den anderen unterscheiden. Dort erhalten irakische Soldaten eine Grundausbildung, unter anderem Unterweisungen zum Gebrauch bestimmter von den USA gelieferten Waffen. Im Gegensatz dazu sollen in Al-Taqaddum Kurse und Beratungen auf Führungsebene stattfinden. Den Irakern soll beigebracht werden, wie man Truppen einsetzt, das Nachschubwesen verbessert, die Kapazitäten für die militärische Aufklärung steigert und Verwaltungsprozesse optimiert.

Zur Aufgabenstellung der Neuankömmlinge gegenüber den Sunniten heißt es seitens des Pentagon lediglich, dass sie dazu beitragen sollen, »sunnitische Miliz- und Stammeselemente ausfindig zu machen, die wir, wenn alle Bedingungen erfüllt sind, ausbilden könnten«. Dem sunnitischen Zweig des Islam gehören nur ungefähr ein Drittel der Iraker an, doch dominierten diese während der Herrschaft von Saddam Hussein.

Die US-Administration wirft der irakischen Regierung vor, die Sunniten zu benachteiligen und sie nicht in den Kampf gegen den IS einzubeziehen. Die amerikanischen Pläne, sunnitische Stämme zu bewaffnen und auszubilden, enthalten jedoch ein starkes Risiko. Es läuft darauf hinaus, ähnlich wie in Syrien eine politisch unzuverlässige »gemäßigt islamistische Opposition« aufzubauen, die zu Zweckbündnissen mit dem IS tendiert. Anfang Juni legten zahlreiche Führer der sunnitischen Stämme der Provinz Anbar einen Treueschwur auf den IS ab.

Aus Sicht der Republikaner, Neokonservativen und anderer prozionistischer Rechter in den USA ist die am Mittwoch bekanntgegebene Aufstockung des amerikanischen Militärpersonals im Irak bei weitem nicht ausreichend. Ihre derzeitigen Wunschvorstellungen liegen bei 10.000 bis 20.000 Mann. Unter anderem fordern sie, dass US-Spezialeinheiten sogenannte Nachtrazzien zur Ermordung von IS-Kommandeuren durchführen sollen.