Berliner Zeitung, 12.06.2015

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Nach Wahlen in der Türkei

Präsident Erdogan sucht Koalitionspartner

Von Frank Nordhausen

Nach der Wahl sucht der abgeschlagene Präsident jetzt einen Koalitionspartner. Die ultrarechte MHP und die Mitte-Links Partei CHP sind potenzielle Kandidaten, stellen aber harte Forderungen.

Nichts symbolisierte die Ratlosigkeit in Ankara nach der Parlamentswahl vom Sonntag besser als das tagelange Schweigen des 61-jährigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Nach drei Tagen zeigte er dann am Mittwoch, dass er trotz des Wahldebakels der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP die Zügel in der Hand behalten will. Zugleich deutete er seine Präferenzen für die Regierungsbildung an: Er lud den ehemaligen Chef der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, Deniz Baykal, zu einem Gespräch in die Hauptstadt Ankara ein. Baykal sagte anschließend, Erdogan sei „offen für Koalitionsmöglichkeiten“.

Am liebsten Neuwahlen

Die Wähler haben die Parteien vor eine schwierige Lage gestellt. Die seit 2002 allein regierende AKP blieb zwar stärkste Partei, verlor aber ihre absolute Mehrheit und muss sich daher zum Regieren einen Koalitionspartner suchen. Da keine Oppositionspartei eine AKP-Minderheitenregierung tolerieren will und die linke, prokurdische HDP nicht mit der AKP koalieren will, kommen für den AKP-Chef Ahmet Davutoglu nur zwei mögliche Partner in Frage: die ultranationalistische MHP und die CHP, die erneut die zweitstärkste Parlamentsfraktion bildet.

Beide Parteien haben rote Linien gezogen, die für die AKP schwer zu verkraften sind – vor allem ihre Forderung, dass Erdogan sich nicht mehr in das politische Tagesgeschäft einmischt. Wegen gemeinsamer konservativer Werte neigt Davutoglu eher zu einer Zusammenarbeit mit der MHP als der CHP.

Während MHP-Chef Devlet Bahceli die Bildung einer Koalition mit der AKP bisher ablehnt, hat der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu sich zähneknirschend zu Verhandlungen bereiterklärt. Kilicdaroglu würde die AKP am liebsten durch ein Bündnis aus CHP und MHP entmachten, das von der HDP toleriert würde. Da aber MHP und HDP in der Kurdenfrage extreme Gegenpositionen vertreten, gilt diese Option als unwahrscheinlich.

In dieser schwierigen Lage hat der Präsident überraschend die Initiative ergriffen. Obwohl er laut Beobachtern eigentlich keine Koalitionsregierung will, kann man seine Begegnung mit Deniz Baykal als Signal an die CHP verstehen. Baykal sagte nach dem Gespräch auch, dass Erdogan eigentlich Neuwahlen anstrebe, aber abwarten wolle, wie sich die Parteien einigten.

Am späten Mittwochabend kam Erdogan dann noch mit Davutoglu zusammen, dessen Regierung zuvor aus formalen Gründen zurückgetreten war. Kurz darauf gab der Regierungschef im Staatsfernsehen TRT sein erstes Interview nach den Wahlen. Koalitionsregierungen seien zwar schlecht für die Türkei, sagte er, doch die AKP sei für alle Optionen offen. „Ohne die AKP ist eine Regierung in der Türkei nicht möglich, ohne sie besteht das Risiko, dass die Türkei entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien zerfällt.“ Davutoglu machte innere und äußere Feinde für das schlechte Wahlergebnis verantwortlich, erwähnte aber erstmals auch „Unzulänglichkeiten und Fehler der letzten zwölf bis dreizehn Jahre“. Dem Präsidenten sandte er eine indirekte Botschaft, sich zurückzuhalten: „Eine Kompromisskultur könnte entstehen, wenn jeder sich an seine Rechte und Pflichten hält.“

Quittung für Selbstherrlichkeit

Als einziger bedeutender Politiker hatte der von Erdogan kaltgestellte Vizepremier und AKP-Mitgründer Bülent Arinc bisher den Mut, die „bittere Niederlage“ einzugestehen. Vor allem aber unter jungen AKP-Politikern gärt es. Ein Istanbuler Parlamentskandidat, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will, sagte der Berliner Zeitung: „Viele in der Partei sind wütend auf Erdogan und halten ihn für den Hauptverantwortlichen der Wahlniederlage. Er hat zu selbstherrlich regiert und der Korruption Tür und Tor geöffnet“, sagte er. „Die Partei hat die Niederlage verdient. Sie braucht einen Wechsel, sonst wird sie sich spalten.“ Neuwahlen seien schädlich, weil die Unsicherheit dann anhalte, die der Wirtschaft jetzt schon schwer zu schaffen mache. Ein erstes Stimmungsbild wird es am 3. Juli geben, wenn das Parlament einen neuen Sprecher wählt. Die AKP soll bereit sein, für einen Kandidaten der Opposition zu stimmen, berichten türkische Medien.
Unvereinbare Standpunkte

Die linke prokurdische HDP will die Friedensgespräche mit der Kurdenguerilla PKK intensivieren, die nationalistische MHP will sie sofort beenden.

Alle drei Oppositionsparteien wollen Erdogans Macht beschneiden, die AKP will darüber auf keinen Fall mit sich reden lassen.

Eine CHP-MHP-Koalition würde die HDP unterstützen, die MHP schließt es aus, mit der Kurdenpartei zusammenzuarbeiten.
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