Die Presse, 16.06.2015

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Syriens Kurden versetzen dem IS schweren Schlag

Kampf gegen die Jihadisten in Syrien. Kurdische Kämpfer melden, dass sie Nachschubweg in IS-Hauptstadt unterbrochen haben.

Von Wieland Schneider (Die Presse)

Die Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staates (IS) gerät im Norden Syriens zunehmend in die Defensive. Laut kurdischen Quellen soll eine der wichtigsten Nachschublinien des IS aus der Türkei gekappt worden sein. Syrisch-kurdische Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) haben demnach gemeinsam mit verbündeten Gruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) die strategisch wichtige Stadt Tal Abyad eingekesselt. Bezirke im Osten und Südosten der Stadt seien seit der Nacht auf Montag bereits in den Händen der YPG.

Tal Abyad gilt als Hauptumschlagplatz für den Nachschub des IS. Die syrische Stadt liegt direkt an der türkischen Grenze, über die der IS in der Vergangenheit Waffen und ausländische Kämpfer in sein Territorium geschmuggelt hat. Von Tal Abyad aus ging es für viele der Jihadisten dann weiter Richtung Süden in die IS-Hauptstadt Raqqa. Durch die jüngsten YPG-Vorstöße wurde diese Nabelschnur des IS jetzt aber offenbar durchtrennt: Tal Abyad hat demnach keine Verbindung mehr zu Raqqa und dem restlichen Gebiet des Islamischen Staates.

Zugleich ist es den syrischen Kurden damit auch gelungen, eine Verbindung zwischen ihren Kantonen Kobane und Cicire herzustellen. Kobane war bisher von der Türkei und IS-Gebiet umschlossen. Ende vergangenen Jahres waren Einheiten des Islamischen Staates bis in die Stadt Kobane vorgerückt. Sie trafen aber auf erbitterten Widerstand. Schließlich konnten die YPG mithilfe internationaler Luftschläge und Artillerieeinheiten aus Nordiraks Kurdenregion die Jihadisten aus der Stadt werfen.


Korridor nach Kobane

Wenn es den YPG gelingt, den Korridor zwischen Kobane und dem Kanton Cicire im Grenzgebiet zur Türkei und dem Irak langfristig zu halten, wäre das ein großer Erfolg für Syriens Kurden bei der Konsolidierung ihres Gebietes. In den Wirren des syrischen Bürgerkrieges richteten die Kurden im Norden des Landes eine Selbstverwaltung in den Kantonen Cicire, Kobane und Efrin ein. Dominierende politische Kraft in diesen Kantonen ist die Partei der Demokratischen Union (PYD). Sie ist eine Schwesterpartei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die einen jahrzehntelangen Untergrundkrieg gegen den türkischen Staat führte. Militärisch geschützt werden die Kantone von den Volksverteidigungseinheiten und Frauenverteidigungseinheiten, die nach Vorbild der PKK-Guerillatruppen aufgestellt worden sind.

Die Vorstöße gegen den IS bei Tal Abyad erfolgten in einer Zangenbewegung von Kobane im Westen und Cicire im Osten her. Aufseiten der mehrheitlich kurdischen YPG und YPJ sind auch arabische Gruppen der Freien Syrischen Armee aktiv. Eine davon nennt sich Vulkan des Euphrat. Sie hatte bereits bei der Verteidigung Kobanes geholfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2015)