zeit.de, 20.06.2015 http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-06/tuerkei-journalismus-ali-leylak-medien/komplettansicht Wo fotografieren lebensgefährlich ist IS, Flüchtlinge, Salafisten: Ali Leylak berichtet aus der gefährlichen Realität im Südosten der Türkei, seine Bilder gehen um die Welt. Dafür wird er mit dem Tod bedroht. von Cornelia Uebel, Şanlıurfa und Yüksel Uğurlu, Şanlıurfa Das Freitagsgebet ist zu Ende. Die Gläubigen verlassen die Zentralmoschee von Şanlıurfa. Draußen werden sie von brüllenden, bärtigen Männern empfangen. Es sind die Peygamber Sevdalıları, die "Verliebten des Propheten Mohammed". Der örtliche Salafistenverein. Vor einigen Tagen ist ihr Vereinsvorsitzender in Diyarbakır ermordet worden. Jetzt versuchen seine Gefolgsleute in Şanliurfa die Menschen aufzuwiegeln. "Allahu Akbar", brüllen die Anhänger. Es sind rund 200. Plötzlich lösen sich aus der Menge Schläger und stürzen sich auf zwei junge Männer, die eben aus der Moschee kommen. Sie prügeln und schlagen auf die zwei ein, die viel zu überrascht sind, um sich zu wehren. Der Grund? Die beiden wollten nicht an der Salafisten-Kundgebung teilnehmen und zeigten das wohl zu deutlich. Ein lebensgefährlicher Fehler. Nur die anwesenden Polizisten in Zivil retten die beiden vor dem wütenden Mob. Ali Leylak ist an diesem Freitag mittendrin, filmt den Gewaltausbruch. Keine Stunde später hat der Lokalreporter die Bilder über Satellit an die Istanbuler Zentralredaktion geschickt. Etliche türkische TV-Sender übernehmen sie, und so wird die gesamte Türkei Augenzeuge des Lynchmord-lüsternen Mobs aus Şanlıurfa. Ali Leylak arbeitet für die DHA, die türkische Nachrichtenagentur Doğan Haber Ajansı. Er ist ihr Mann vor Ort. Sein Büro liegt im zweiten Stock eines hässlichen Zweckbaus mitten in Şanlıurfa. Viel Geld hat die Nachrichtenagentur hier nicht investiert: drei Schreibtische, ein Kühlschrank, Computer. Ali Leylak, Ehemann und Vater einer kleinen Tochter, gläubiger Moslem, ist jeden Tag mit dem konfrontiert, was man in Deutschland und auch in vielen westlichen Städten der Türkei nur im Fernsehen sieht: den Flüchtlingen aus Syrien, dem IS, den Hisbollah-Fanatikern in Şanlıurfa, korrupten türkischen Beamten. Leylak ist ein stiller, ernsthafter Mann. Konzentriert, mit zwei Fingern die Tasten tippend, verfasst er seine Berichte. Selten, fast nie taucht sein Name unter seinen Fotos oder seinen Meldungen auf. Seine Agentur verdient damit richtig gutes Geld. In einem kleinen Schrank in seinem Büro liegen griffbereit zwei kugelsichere Schutzwesten und Helme. Ali Leylak hat sie auf eigene Kosten den kurdischen Peschmerga abgekauft. Die Ausstattung ist überlebenswichtig – für die Einsätze an der Front, die nicht weit weg ist. 150 Tage in Kobani 40 Kilometer südlich von Şanlıurfa wird scharf geschossen. Hinter dem mit Natodraht gesicherten Grenzzaun liegt Syrien, wo jeder gegen jeden kämpft. Die schiitische Hisbollah gegen den sunnitischen IS, und beide gegen die Kurden. Auch Kobani ist nur 130 Kilometer von Şanlıurfa entfernt. 150 Tage war Ali Leylak im vergangenen Jahr dort, hat aus der umkämpften Stadt berichtet, deren Eroberung zu einem Prestigekampf zwischen IS und den Koalitionstruppen der Amerikaner und Kurden geworden ist. "Ich habe zwölfmal dem Tod ins Auge geschaut", erzählt Ali Leylak ganz ruhig, "vor meinen Augen haben die IS-Kämpfer Menschen abgeschlachtet".. Ali Leylak weiß oft als Erster, wenn etwas passiert in der Region. Ein Walkie-Talkie, das die Frequenzen aller Sicherheitsorgane automatisch und rund um die Uhr abtastet, sowie zwei Handys sind seine ständigen Begleiter. Auch in Akçakale, der kleinen Grenzstadt kurz hinter Şanlıurfa, ist er als Erster vor Ort, als sich vergangenes Wochenende die syrischen Flüchtlinge hinter dem Grenzzaun verzweifelt um Einreise in die Türkei bemühen. Leylak fotografiert sie und die feixenden IS-Kämpfer, die vor den Flüchtenden posieren. Er weiß schon jetzt, was passieren wird: "Wenn die Türken die Grenze aufmachen, werden die IS-Leute ihre Gewehre ablegen, ihre Bärte abrasieren und im Schutz der Zivilbevölkerung in die Türkei einreisen." Unkontrolliert von türkischen Grenzbeamten würden sie die einzige Möglichkeit nutzen, die von Kurden mit Unterstützung amerikanischer Bomber umzingelte syrische Stadt Tal Abjad zu verlassen. Unerkannt und inkognito. Unbequeme Fragen an den Gouverneur "Sobald die Bilder raus sind, werden die ausländischen Medien wiederkommen", sagt Ali Leylak. Er hat recht. Am nächsten Tag ist die Weltpresse da, darunter auch deutsche Journalisten. Der Provinzgouverneur von Şanlıurfa sieht sich genötigt, vor Ort eine Pressekonferenz abzuhalten. Kurz darauf werden einige Journalisten festgesetzt, darunter auch Deniz Yücel von der WeltN24-Gruppe. Der Grund? Die Fragen hatten dem Gouverneur, dem Vali, in der Türkei eine übermächtige Person, dem Polizei und Gendarmerie unterstellt sind, nicht gefallen. Die Festnahme, die von türkischer Seite als Feststellung der Personalien verkauft wird, erregt international Aufsehen. Die deutschen Medien berichten. In den türkischen ist der diplomatische Affront tagelang ein Thema. Was kein Thema ist: Dass am
gleichen Tag Ali Leylak, dessen Berichterstattung die Weltpresse erst
nach Akçakale geführt hat, Besuch bekommt. Gegen 14 Uhr betreten zwei
Männer sein Büro in Şanlıurfa. Es sind Funktionäre des Salafistenvereins,
die "Verliebten des Propheten Mohammeds." "Sie haben mich
beschuldigt, falsche Nachrichten zu verbreiten." Die beiden Männer,
die sie vor der Zentralmoschee freitags zuvor verprügelt hätten, seien
doch nur zwei niederträchtige Menschen gewesen, PKK-Asoziale, einer gar
frisch aus dem Knast entlassen. Wie er, Ali Leylak, solche Leute in Schutz
nehmen könne. Er müsse nun damit rechnen, dass man ihn zur Rechenschaft
ziehen würde. "Ich habe ihnen gesagt, dass ich zu meiner Nachricht
stehen würde und dass sie ja Anzeige erstatten könnten." Die Männer
hätten ihm darauf gesagt, dass sie die Abrechnung mit ihm selbst in die
Hand nehmen würden. "Das war eine Morddrohung", sagt Ali Leylak.
"Ich bin hier", habe er geantwortet, "Sie wissen, wo ich
arbeite, wo ich lebe, ich laufe nicht weg." Die Journalisten, die der Provinzgouverneur aufgrund ungebührlicher Fragen zu den Vorkommnissen in Akçakale festsetzen ließ, sind sofort wieder freigelassen worden. Ali Leylak, dessen Berichterstattung die Weltöffentlichkeit auf Akçakale aufmerksam gemacht hatte, bleibt. Er muss nun um sein Leben fürchten. Er nimmt die Drohung der muslimischen Fanatiker ernst. Seine DHA-Kollegin, Canan Altıntaş in Diyarbakır, wurde von der selben Truppe ein paar Tage zuvor mit einem Beil auf den Kopf geschlagen und schwer verletzt.
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