Neue Zürcher Zeitung, 20.06.2015 http://www.nzz.ch/international/kommentare/alliierte-gegen-den-islamischen-staat-1.18565808 Syriens Kurden Alliierte gegen den Islamischen Staat Syriens Kurden haben der Terrormiliz IS eine empfindliche Niederlage zugefügt. Sie sind wichtige Alliierte, die Dankbarkeit verdienen und nicht Drohungen, wie sie der türkische Präsident ausstösst. Kommentarvon Daniel Steinvorth Über Tell Abiad weht keine schwarze Fahne mehr, sondern eine gelbe mit rotem Stern. Seit Anfang dieser Woche wird die Stadt an der syrisch-türkischen Grenze nicht mehr vom Islamischen Staat (IS) kontrolliert, sondern von den linken kurdischen Volksverteidigungseinheiten. Fünf Monate nach ihrem Sieg in Kobane haben Syriens Kurden dem «Kalifat» damit erneut eine empfindliche Niederlage beschert. Denn Tell Abiad diente den Jihadisten als Einfallstor für Rekruten aus aller Welt und als wichtiger Umschlagplatz für Schmuggelgeschäfte mit der Türkei. Während der IS in letzter Zeit einige Erfolge im Irak und im Süden Syriens feiern konnte, zeigt sich seine Schwäche im Norden. Die Kurden – im Verbund mit syrischen Rebelleneinheiten und unterstützt von den Amerikanern aus der Luft – erweisen sich als besser organisiert denn manch andere Kämpfer und sicherlich entschlossener als etwa die irakische Armee. Die natürliche Reaktion aller Anrainerstaaten, die den IS als Todfeind begreifen, wie auch aller anderen Länder müsste Dankbarkeit gegenüber den Kurden sein; zumal, wenn man selbst keine Bodentruppen gegen die Extremisten schicken will. Übt man sich stattdessen in Drohgebärden wie der türkische Präsident Erdogan und streut sogar Gerüchte, militärisch gegen die Kurden vorgehen zu wollen, so lässt das tief blicken. Sicher, auch die kurdischen Einheiten verfolgen eine Strategie, indem sie einen durchgängigen Streifen von mehreren hundert Kilometern an der türkischen Grenze unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Türkei fürchtet neben der kurdischen Autonomieregion im Nordirak einen weiteren De-facto-Staat der Kurden in Syrien. Zugleich dürfte aber auch Ankara ahnen, dass dieses Bürgerkriegsland so oder so zerfällt und vielleicht nur noch als föderaler Staat mit kurdischen Autonomierechten überleben wird. Will Erdogan trotzdem Panzer schicken und eine Entwicklung aufhalten, die nicht mehr aufzuhalten ist, so dürfte ihn die Phobie vor einem Kurdenstaat blind gemacht haben – blind vor allem für die Bedrohung durch den IS. Oder begreift der türkische Präsident nicht, dass die Extremisten auch sein eigenes Land destabilisieren? Die syrischen Kurden sind Alliierte im Krieg gegen den IS. Der Preis dafür wird mehr kurdische Souveränität sein – genauso wie im Übrigen auch alle anderen Akteure, die syrischen Rebellen und die Milizen im Irak, einen Preis einfordern werden.
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