welt.de, 29.06.2015

http://www.welt.de/politik/ausland/article143275947/Iraner-hoffen-auf-eine-Veraenderung-im-Land.html

Atomverhandlungen

Iraner hoffen auf eine Veränderung im Land

Am Dienstag endet die Frist für eine Lösung im Atomstreit mit dem Iran. Eine Einigung könnte dem Land neuen Wohlstand bringen – und mehr Freiheiten. Das jedenfalls hoffen viele junge Iraner. Von Stephanie Rupp, Teheran

Über die endlos langen Staus am späten Abend in manchen Straßen im Norden Teherans hat Nasrin bisher nie gestöhnt. Denn junge Menschen in Teheran steuern abends oft absichtlich verstopfte Straßen an. Weil man da, im Schritttempo aneinander vorbeifahrend mit heruntergekurbelten Scheiben, so wunderbar leicht Menschen des anderen Geschlechts kennenlernen kann. Und bis sie den Mann fürs Leben fand, war die 27-Jährige jahrelang abends mit Freundinnen in ihrem kleinen grauen Peugeot unterwegs, um zu sehen, wer sich sonst noch auf den Straßen tummelt. Dabei hatten sie viel Zeit, um verbotene Musik zu hören – persischsprachigen Pop von Exiliranern aus den USA (Link: http://www.welt.de/themen/usa-politik/) – und über ihre Zukunftsperspektiven oder die nächsten Hochzeitsfeiern zu reden, die für unverheiratete Frauen und Männer wichtige Kontaktbörsen sind.

Jetzt ist Nasrin glücklich verliebt, und wenn sie im Stau steht, dann ärgert sie sich. Aber bei den abendlichen Autotouren ihrer Freundinnen ist die Stimmung noch gelöster und hoffungsfroher geworden, seit eine Einigung im Atomstreit in greifbare Nähe gerückt ist. Wenn das Land seine Sanktionen los wird, kann auch die iranische Gesellschaft freier werden, hoffen viele.

"Wir sind sehr optimistisch, dass eine Einigung zustande kommt. Alles andere wäre für uns eine Riesenkatastrophe", sagt die junge Hauptstädterin, die in diesem heißen Frühsommer oft Mäntel mit auffallend bunten Prints trägt und sie mit farbenfrohen Schals kombiniert. Damit kommt sie zwar der Pflicht nach, Körper und Haare zu bedecken, aber die Manteldesigner lassen sich vor allem bei den Sommerkollektionen immer neue Provokationen einfallen – mal sind es schrille Farben, mal Strukturstoffe, mal extrem enge Schnitte. Dieses Jahr sind es große, bunte Muster statt traditioneller schwarzer Tschador.

Die jungen Frauen rechnen wie viele Menschen in der Hauptstadt damit, dass die Preise stabil bleiben oder gar sinken, wenn ihr Land endlich wieder in den Welthandel integriert ist, dass Investitionen aus dem Ausland kommen und Arbeitsplätze schaffen. "Nur durch eine florierende Wirtschaft wird unsere Zukunft sicher", sagt Nasrin. Tatsächlich warten viele internationale Unternehmen nur darauf, endlich im Iran (Link: http://www.welt.de/themen/iran-konflikt/) Geschäfte zu machen. Zahllose Delegationen aus Europa, den USA und Fernost reisen durch das Land und suchen nach Anlagemöglichkeiten und iranischen Partnern.

Doch ein Problem wird auch ein Atomdeal nicht lösen können: Das Land ist in vielerlei Hinsicht gespalten. Da ist die Kluft zwischen modern und liberal denkenden Menschen wie Nasrin und ihren Freundinnen und dem konservativen Establishment. Und da ist der gewaltige ökonomische Abstand zwischen der urbanen Mittel- und Oberschicht des Landes und den zahllosen Menschen, die sich und ihre Familien von einfachen Jobs in veralteten Industriebetrieben und auf kümmerlichen Feldern ernähren. Diese Kluft ist durch die jahrelangen Sanktionen extrem gewachsen. Denn einige haben bestens daran verdient, trotz Handelsschranken fast alles ins Land zu bringen, was nachgefragt wird, während die anderen unter der ökonomischen Krise litten.

Partys sind im Iran privat

Ein öffentliches Nachtleben gibt es nicht in der Hauptstadt der Islamischen Republik. Partys sind privat – wer Spaß haben will, kann in der Acht-Millionen-Metropole eigentlich nur essen gehen oder ein paar Runden mit dem Auto drehen. Die Spaßstaus sind ein Produkt der jungen Mittelschicht, zu der Nasrin gehört, und der wirklich reichen Jugendlichen, die sich mit dem Mercedes, Porsche oder Maserati ihrer Eltern durch den stockenden Verkehr schieben, um im Instagram-Portal "Rich Kids of Tehran" (Link: https://instagram.com/therichkidsoftehran/) provokante Fotos zu posten.

Etwa 270.000 importierte Luxusautos soll es im Land geben. Preise von umgerechnet 250.000 bis 500.000 Euro sind angesichts hoher Importzölle keine Seltenheit, im Extremfall werde bis zu einer Million Euro gezahlt, sagt ein Wirtschaftsprofessor, der selbst seit Jahren einen gebrauchten japanischen Geländewagen fährt.

Im Süden der Stadt leben die ärmeren Familien, deren Kinder in abgetragener Kleidung die Staus der Reichen nutzen, um ihnen Rosen, Kosmetiktücher, Zahnbürsten oder Kaugummis zu verkaufen. Mehr als zehn der 80 Millionen Iraner leben unter der Armutsgrenze.

Nasrin, die gerade promoviert, hat ihren Peugeot vor einigen Jahren von den Eltern zur bestandenen Bachelorprüfung bekommen. An diesem heißen Donnerstagabend sitzt sie nicht mehr mit ihren Freundinnen, sondern mit ihrem Verlobten Mehdi im Auto. Er hat gerade sein Informatikstudium abgeschlossen. Kennengelernt haben sie sich bei einem interdisziplinären Uni-Kongress. Nun sind sie frisch verlobt und haben den Segen beider Eltern für eine baldige Heirat.

Jetzt sitzen sie im Stau auf dem Sa'adat-Abad-Boulevard im Nordwesten der Stadt fest und Nasrin schimpft lautstark über das Verkehrschaos. Das Paar will in einem beliebten Gartenrestaurant im nahen Farazad mit Nasrins Eltern zu Abend essen und Details der Hochzeit besprechen, die in zwei Etappen stattfinden soll: Im Herbst die Trauung, bei der nur die allernächsten Verwandten kommen sollen, im Frühjahr dann die große Feier.

Die Eltern sitzen schon im Restaurant und könnten die frische Abendluft genießen, die wohltuend ist im Vergleich zum Benzingestank, den Nasrin und Mehdi einatmen müssen. Doch jetzt werden sie schon ungeduldig und schicken Nasrin SMS und WhatsApp-Nachrichten auf ihr iPhone 6. Jetzt wird auch Nasrin nervös. Sie hupt, weil sich ein weißer Maserati Quattroporte vor ihr quergestellt hat, der ebenfalls abbiegen will. Der Fahrer mit dunkler Sonnenbrille und gegelten schwarzen Haaren lässt den Motor hörbar aufheulen, Nasrin schüttelt den Kopf.

Nach einer weiteren halben Stunde ist das Paar im Restaurant angekommen. Die Eltern haben schon Lammspieße, Safranreis, Fladenbrot, Salat mit Joghurtdressing, alkoholfreies iranisches Bier mit Pfirsichgeschmack und das traditionelle Joghurtgetränk mit Minze bestellt. Und sie haben die Zeit genutzt, um über die Atomverhandlungen zu diskutieren. Natürlich müsse er darauf bestehen, dass alle Sanktionen noch in diesem Jahr fallen. Sobald Iran umfassende Kontrollen seiner Atomanlagen zulässt.

Feste ohne Geschlechtertrennung verboten

Jetzt wollen sie eine Hochzeitsfeier planen, die für beide Familien akzeptabel ist. Und das ist gar nicht so einfach. Sie wissen, dass Mehdi liberal gesonnen ist und mit seinen Eltern häufig im Clinch liegt. Trotzdem will der einzige Sohn der Familie die Eltern nicht verärgern. Sie halten sehr an Traditionen fest und zeigen ihre Frömmigkeit mit Stolz. Mehdis Vater trägt einen langen Bart, seine Mutter und die Schwestern würden sich weder im eigenen Haus noch bei Besuchen Männern ohne Kopftuch und Mantel zeigen.

Nasrins Eltern hingegen sind zwar auch religiös, betrachten das aber als Privatsache. Ihre Töchter und die meisten weiblichen Verwandten bedecken ihr Haar im privaten Umfeld nicht. In dieser Großfamilie beten viele regelmäßig, niemand ist Atheist, und wenn gefeiert wird, dann tun das Männer und Frauen gemeinsam – in fröhlicher Atmosphäre und bei Livemusik, zu der getanzt wird. Die Damen scheinen dann im Wettbewerb um das gewagteste Dekolleté und das auffälligste Make-up. Weil Feste ohne Geschlechtertrennung eigentlich verboten sind, feiert man versteckt außerhalb der Stadt, und damit die Polizei nicht einschreitet, werden die Beamten zuvor bestochen oder mit Teilen des Hochzeitsmenüs beliefert.

Ganz anders ist das bei Mehdis Familie. Dort feiert man traditionell und ganz so, wie es das Establishment in der Regierung gerne sieht und erlaubt. Man mietet einen offiziellen Hochzeitssaal, der nach Geschlechtern aufgeteilt ist, sodass Männer keine Blicke auf unverschleierte Damen erhaschen.

Eine komplizierte Gesellschaft

Wie aber kann eine Feier aussehen, bei der sich beide Familien wohlfühlen? Das geht wohl nur mit Kompromissen und mehr Geld. Nasrins Eltern wollen etwas mieten, wo man getrennt feiert, aber einen zusätzlichen Saal hat, wo alle gemeinsam tanzen können, die das wollen. Oder aber es gibt zunächst eine traditionelle Feier und später am Abend feiert das Paar weiter, wie es will.

Die iranische Gesellschaft ist kompliziert, weil auch viele Liberale sich nicht vom Glauben abwenden wollen. Eine ganz und gar säkulare Regierung wollen sie nicht automatisch. Viele wünschen sich Veränderung, aber eher einen sanften Übergang und erst einmal mehr persönliche Freiheiten. Andere wollen endlich eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion. Auch die Proteste nach der mutmaßlich gefälschten Präsidentenwahl im Sommer 2009 haben gezeigt, dass sich auch tief verschleierte Frauen einen radikalen Wandel wünschen können.

Doch was ist heute, sechs Jahre nachdem die Proteste brutal niedergeschlagen wurden, von diesem Widerspruchsgeist übrig? Die Grüne Welle sei keineswegs tot, sagt der Politikberater und Manager Hojat Assadi. Gerade rund um den Jahrestag der Aufstände – sie begannen am 13. Juni – kursierten in sozialen Medien wie Instagram, WhatsApp, vor allem aber in bestimmten Viber-Gruppen, Sympathiebekundungen für den damaligen Helden der Bewegung. Junge Iraner wollten Präsident Hassan Ruhani (Link: http://www.welt.de/themen/hassan-rouhani/) , der seit fast zwei Jahren im Amt ist, an sein noch immer uneingelöstes Versprechen erinnern, die Freilassung aller politischen Gefangenen durchzusetzen.

Was im Iran nicht in den Zeitungen steht, wird online verbreitet oder noch schneller via WhatsApp und Viber per Smartphone. So war das auch mit einem Vorfall, der sich Ende April ereignete – "und bei dem man die ganze Misere der Islamischen Republik in einem einzigen Bild betrachten kann", wie Assadi sofort in sozialen Netzwerken gepostet hat. Was war passiert? Der Enkelsohn des verstorbenen, zu Lebzeiten als besonders konservativ bekannten Ayatollahs Rabbani Schirazi war im neuen gelb-schwarzen Porsche seines Vaters unterwegs. Der junge Mann saß auch noch mit seiner Freundin, mit der er nicht verheiratet war, im Auto. Das Paar kam von einer Party und hatte Alkohol getrunken – also hatten sie all das getan, wogegen die Kleriker in 35 Jahren Islamischer Republik gekämpft hatten.

Im Internet kommentieren junge Leute den Vorfall als "Ironie der Geschichte". Mit Tempo 205 soll die junge Frau, die am Steuer saß, auf einem großen Boulevard in Teheran (Link: http://www.welt.de/themen/teheran/) frontal gegen einen Baum geprallt sein, wie Fotos zeigen. Sie starb, der Enkelsohn überlebte. Mitleidsbekundungen für die junge Frau gab es nicht.