Der Standard, 01.07.2015

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Erdogan-Vertrauter neuer türkischer Parlamentspräsident

Markus Bernath

Türkische Oppositionsparteien konnten sich nicht auf gemeinsamen Alternativkandidaten einigen

Ankara/Athen – Der bisherige Verteidigungsminister Ismet Yilmaz ist am Mittwoch im vierten und letzten Durchgang mit den Stimmen der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt worden. Damit hat die seit bald 13 Jahren regierende AKP von Staatschef Tayyip Erdogan trotz des Verlusts der absoluten Mehrheit bei den Parlamentswahlen im Juni ihre starke Stellung behauptet. Der Opposition aus Sozialdemokraten, Rechtsnationalisten und kurdisch geprägter HDP gelang es am Ende nicht, Kapital aus ihrer Stimmenzahl zu schlagen.

Es wurde erwartet, dass Erdogan nach der Wahl Premierminister Ahmet Davutoglu mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Davutoglu hat dafür laut Verfassung maximal 45 Tage Zeit.

Loyaler Gefolgsmann

Der 53-jährige Yilmaz, der längere Zeit in der Schifffahrtswirtschaft als Jurist tätig war, gilt als loyaler Erdogan-Mann. Yilmaz führte 2007 kurzzeitig das Verkehrsministerium und ab 2011 das Verteidigungsressort. Letzteres stand traditionell unter der Vormundschaft der türkischen Armee, rückte aber mit der Entmachtung der Generäle schrittweise unter die politische Führung des Regierungschefs und späteren Staatspräsidenten Erdogan. Yilmaz leitete auf Wunsch Erdogans den Ankauf eines chinesischen Raketenabwehrsystems ein, was aber auf den Widerstand der USA und der Nato stieß.

Yilmaz siegte im vierten Wahlgang über Deniz Baykal, den früheren Chef der Sozialdemokraten, der CHP. Anfangs war noch spekuliert worden, dass die AKP Baykal das protokollarisch zweithöchste Amt im Staat überlässt. Das wäre als Grundstein für eine dauerhafte Koalition der beiden größten Parteien – AKP und CHP – verstanden worden. Premier Davutoglu machte aber bald klar, dass seine Partei Yilmaz durchsetzen werde.

Staatschef zurückdrängen

Dennoch gilt die große Koalition zwischen den beiden erbitterten Gegnern weiter als die bevorzugte Lösung Davutoglus. Der CHP-Vorsitzende Kemal Kiliçdaroglu stellt dafür eine Reihe von Bedingungen. Neben einer Erhöhung des Mindestlohns um die Hälfte auf 1.500 Lira (circa 500 Euro) beharren die Sozialdemokraten auf der Wiederaufnahme der Korruptionsermittlungen gegen das Umfeld der früheren Erdogan-Regierung. Die Einmischung in die Tagespolitik wollen sie dem heutigen Staatschef nicht mehr erlauben. Scheitern die Koalitionsverhandlungen, wird Erdogan Neuwahlen ansetzen. (Markus Bernath, 1.7.2015)