junge Welt, 30.06.2015

http://www.jungewelt.de/2015/06-30/060.php>

»Die Proteste gegen den Bau sind enorm«

Der Ilisu-Staudamm in der Türkei ist zu 85 Prozent fertig. Die Gegner des Baus hoffen auch auf Hilfe der UNESCO. Ein Gespräch mit Ercan Ayboga

Interview: Karin Leukefeld

Ercan Ayboga lebt in Diyarbakir im kurdischen Teil der Türkei. Er engagiert sich in der »Initiative zur Rettung von Hasankeyf«, die sich gegen den Bau des Ilisu-Staudamms am Tigris richtet. Ayboga ist promovierter Ingenieur und spezialisiert auf Umwelttechnik (Wasser und Hydrologie).

Sie engagieren sich gegen den Bau des Ilisu-Staudamms in der Türkei – was führt Sie jetzt nach Bonn?

Ich bin hier mit einer Delegation des Senats von Diyarbakir, um an der 39. Konferenz des Welterbekomitees der UNESCO teilzunehmen. Die Stadt beantragt die Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes wegen der alten Stadtmauer und der Hevsel-Gärten. Beide stammen aus dem 12. Jahrhundert. Über diesen Antrag soll hier in Bonn nächste Woche abgestimmt werden.

Außerdem protestieren wir gegen den Bau des Ilisu-Staudamms, der zwei kulturhistorische Orte zerstören würde. Zum einen die etwa 10.000 Jahre alte Stadt Hasankeyf am Tigris in Nordkurdistan, durch die einst eine Route der Seidenstraße verlief. Und dann noch die mesopotamischen Sümpfe im Süden Iraks. Vor drei Jahren haben wir eine Petition bei der UNESCO eingereicht, damit die sich für den Schutz des Welterbes am Tigris einsetzt.

Gibt es eine Antwort?

Die UNESCO kann nur Anträge von Staatsregierungen annehmen. Die Türkei hat zwar einen Antrag wegen der Stadtmauern von Diyarbakir eingereicht, doch den Antrag für Hasankeyf und den Tigris ignoriert Ankara. Auch die irakische Regierung setzt sich nicht ernsthaft für den Erhalt der mesopotamischen Sümpfe ein. Wenn sie es getan hätte, wären sie vielleicht schon auf der Liste des Weltkulturerbes.

Der Bau des Ilisu-Staudamms wurde allerdings mehrfach unterbrochen …

Zunächst ist er aus wirtschaftlichen Gründen für die Regierung wichtig. Der Damm soll Strom produzieren, das Wasser soll für die Bewässerung des Agrarlandes sorgen. Doch die Proteste sind enorm. Vier-, fünfmal wurden die Arbeiten gestoppt, zweimal ging das Geld aus, dann wurden sie gerichtlich angehalten. Einmal hat die PKK, die kurdische Guerilla, eingegriffen, und in der vergangenen Woche haben Arbeiter protestiert und Baumaschinen und Büros niedergebrannt. Aber trotz der Proteste ist der Damm zu 85 Prozent fertig.

Die Staumauer soll also um jeden Preis durchgesetzt werden? Warum?

Innenpolitisch will Ankara mit dem Bau dazu beitragen, die Kurdinnen und Kurden zu assimilieren. Die Umsiedlung der bisherigen Dörfer entwurzelt die Menschen, gleichzeitig kann die Regierung die Bewegung der Bevölkerung kontrollieren und beeinflussen.

Das bedeutet aber auch Kontrolle über die Guerilla der PKK, die bei den Menschen in der Region große Unterstützung hat. Außenpolitisch will sich die Türkei langfristig ein Werkzeug gegen die irakische Regierung verschaffen. Die Herrschaft über das Wasser ist ein wichtiges Instrument, um sich als Regionalmacht zu etablieren. Über den Euphrat, der durch Syrien in den Irak fließt, wird dieses Druckmittel schon gegen Syrien und den Irak eingesetzt.

In einer Presseerklärung ziehen Sie einen Vergleich zwischen den Zerstörungen, die der Ilisu-Staudamm anrichten würde, und der Zerstörung, die der selbsternannte »Islamische Staat im Irak und in der Levante« hinterlässt. Ist das angebracht?

Der Vergleich mag krass sein, aber nicht überzogen. Der Ilisu-Stausee und all die anderen Dämme, die an Euphrat und Tigris gebaut oder geplant sind, zerstören nicht nur Hasankeyf und die südirakischen Sümpfe, sondern auch Hunderte historische Stätten, die noch gar nicht ausgegraben wurden. Sie zerstören auch die immaterielle Kultur, die mit dem Leben der Menschen in dieser Region und entlang der Flüsse verbunden ist. Die Seidenstraße ging hier entlang, das soziale und kulturelle Leben spielt sich seit Jahrtausenden in den Tälern und Niederungen am Ufer der Flüsse ab. Wenn das überflutet wird, wird alles zerstört. Wenn 50.000 Menschen wegen des Baus des Ilisu-Staudamms vertrieben werden, wenn im Irak 500.000 Menschen wegen des Ilisu-Staudamms und der anderen Staudämme ihre Lebensgrundlagen verlieren, dann ist dieser Vergleich nicht übertrieben. Die Form der Zerstörung, die Motivation, die dahinter steht, das ist anders, aber das Resultat ist vergleichbar.

http://www.iraqicivilsociety.org/campaigns/save-the-tigris-and-iraqi-marshes-campaign