junge Welt, 02.07.2015

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»Ob Widerstand legitim ist, will das Gericht nicht erörtern«

In Hamburg muss sich ein kurdischer Politiker wegen Paragraph 129b verantworten.

Ein Gespräch mit Rainer Ahues

Interview: Martin Dolzer

Rainer Ahues ist Rechtsanwalt in Bremen

Seit dem 20.Mai 2015 steht der kurdische Politiker Mehmet D. wegen einer Anklage nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch (StGB) vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg. Ihm wird vorgeworfen, ein Gebietsverantwortlicher der in der BRD verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gewesen zu sein. Wie schätzen Sie dieses Verfahren ein?

Es geht in diesem Prozess um die Fortschreibung der seit etwa 25 Jahren bestehenden Einschätzung der PKK durch die Bundesanwaltschaft. Sie galt zunächst als kriminelle (Paragraph 129), dann als terroristische (129a) Vereinigung, und nun gilt sie schließlich als terroristische Vereinigung im Ausland (129b).

Mehmet D. und Sie haben Erklärungen abgegeben, in denen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und die Situation in der von Kurden bewohnten Selbstverwaltungsregion Rojava im Norden Syriens Thema waren. Wie haben Sie argumentiert?

Wir wollten zum einen deutlich machen, dass die Türkei ein Staat ist, der auf keinen Fall von Gesetzen der Bundesrepublik »in Schutz« genommen werden darf. Zum anderen haben wir versucht, mit Erklärungen und Anträgen die Theorie und Praxis des vom inhaftierten Kurdenführer Abdullah Öcalan entwickelten Konzepts des »demokratischen Konföderalismus« aufzuzeigen.

Prozessbeobachter kritisieren, die Hamburger Richter seien befangen, sie hätten den Eindruck, der Prozess solle möglichst schnell abgeschlossen werden. Unter anderem wurden die meisten Anträge der Verteidigung abgelehnt …

In diesem Prozess spielt das »Selbstleseverfahren« eine unheilvolle Rolle. Sämtliche Urkunden über politische Aussagen der PKK, Berichte über Kongresse usw., sämtliche Übersetzungen von aufgezeichneten Telefongesprächen, die sich in den Ermittlungsakten befinden, wurden in fünf Aktenordner gepackt und den Beteiligten übergeben. Das alles müssen sie bis zu einem bestimmten Termin durchgelesen haben. Diese Texte werden dann Gegenstand der Beweisaufnahme, das Gericht kann darauf sein Urteil stützen.

Ist es richtig, dass Anträge abgelehnt wurden, die Situation in Kurdistan sowie die Politik der PKK neu zu bewerten?

Das Gericht hatte darauf hingewiesen, die Situation in der Türkei sei ihm schon aus dem Verfahren gegen den kurdischen Politiker Ali Ihsan Kitay bekannt, es wurden auch Abschnitte des betreffenden Urteils verlesen. Anschließend stellten wir Anträge, die das Gericht abwies. Immerhin hat es aber festgehalten, dass es zu den gerichtsbekannten Tatsachen gehört, dass kurdische Parteien und türkische Gewerkschaften immer wieder der Verfolgung ausgesetzt waren. Auch dass der türkische Staat bei kurdischen Demonstrationen mit massiver Gewalt bis hin zur Tötung von Demonstranten vorgegangen ist; dass Menschen festgenommen wurden und verschwanden. Außerdem habe es extralegale Hinrichtungen und Folter gegeben.

Offenbar sieht das Gericht die Türkei nicht als funktionierenden Rechtsstaat an. Es hat es auch als erwiesen bestätigt, dass die Türkei die Terrortruppe »Islamischer Staat« mit Waffen beliefert.

Wäre es dann nicht konsequent, Mehmet D. und weitere gemäß Paragraph 129b inhaftierte Kurden sofort aus der Haft zu entlassen?

Das sieht das Gericht anders: Den Richtern geht es allein um die Bewertung von Anschlägen, die die PKK auf staatliche Einrichtungen mit »den Mitteln von Mord und Totschlag« unternommen haben soll. Ob der Widerstand gegen systematisches Unrecht in der Türkei oder gegen den »Islamischen Staat« legitim sein könnte und letztlich auch Leben rettet, will das Gericht gar nicht erst erörtern.