Frankfurter Rundschau, 02.07.2015

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Erdogans Säbelrasseln

Von Frank Nordhausen

Seit der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vergangene Woche erklärte, die Türkei werde „keinen neuen Staat an ihrer Grenze in Nordsyrien dulden“, wird über eine Intervention in Syrien spekuliert.

Wird die Türkei in Syrien militärisch intervenieren? Angestoßen hat die Debatte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, als er vergangene Woche nach Militäroperationen der syrischen Kurden erklärte, die Türkei werde „keinen neuen Staat an ihrer Grenze in Nordsyrien dulden“. Seither wird darüber spekuliert, dass der Präsident die Armee anweisen könnte, einen 30 Kilometer tiefen und 110 Kilometer langen Sicherheitskordon in Syrien einzurichten. Das Militär hat sich einem Interventionsbefehl der Regierung widersetzt, doch geht der Aufmarsch entlang der Grenze unvermindert weiter.

Regierungsnahe Kommentatoren preisen die Bereitschaft des Militärs, „jederzeit loszuschlagen“, wie „Günes“: „Alle Vorbereitungen für Operationen in Syrien sind abgeschlossen. Eine Urlaubssperre wurde verhängt und die Armee in Einmarschbereitschaft versetzt.“ Andererseits greifen sie Erdogans Wortwahl auf, wonach es nicht um eine kriegerische Handlung, sondern um die Errichtung einer „Sicherheitszone“ für syrische Flüchtlinge geht. Laut „Milliyet“ hat der Nationale Sicherheitsrat unter dem Vorsitz Erdogans zwei rote Linien für eine Intervention gezogen: falls die Kurden den Euphrat überschreiten und falls das Assad-Regime die von syrischen Rebellen eroberte Provinz Idlib angreift.

Viele Oppositionszeitungen halten das Argument einer Eindämmung des IS durch das türkische Militär für vorgeschoben. Es gehe Erdogan darum, einen weiteren Vormarsch der Kurden nach Westen zu verhindern, schreibt Yusuf Kanli in der „Hürriyet Daily News“: „Es ist eine Aggression, um das Mindeste zu sagen, und definitiv eine Okkupation, wenn das Militär eines Landes in das Territorium eines anderen Landes ohne die Einladung oder Erlaubnis dieses Landes oder ohne internationalen Vertrag eindringt. (…) Kann jemand eine solche Aktion als Selbstverteidigung der Türkei ansehen? Oder würde sie nicht darauf hinauslaufen, die Türkei in den Krieg in Syrien hineinzuziehen?“ Die linkskemalistische „Cumhuriyet“ befürchtet, dass die nationalistische MHP den Einmarsch unterstützen und eine „Kriegskoalition“ mit Erdogans islamisch-konservativer AKP bilden könne. Laut einer Umfrage sind 93 Prozent der Türken gegen eine Militäraktion in Syrien.

Emre Uslu setzt sich in der linksliberalen „Taraf“ mit der Auffassung auseinander, das Interventionsszenario sei nur ein Bluff der geschäftsführenden AKP-Regierung, um sich innenpolitisch neu zu profilieren, den das Ausland nie zulassen würde. „Doch die Positionen internationaler Akteure waren für Erdogan und die AKP noch nie bindend.“ Die Türkei würde nicht nur wegen der Kurden, sondern auch wegen ihrer neuen Allianz mit Saudi-Arabien gegen das Assad-Regime trotz aller Warnungen in Syrien intervenieren. „Die Chancen stehen 50 zu 50.“
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