Die Presse, 08.07.2015 Gül kritisiert Flüchtlingspolitik der EU Der türkischer Ex-Präsident fordert die EU in einem Zeitungsinterview dazu auf, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie ein globaler Akteur sein möchte. Angesichts der wachsenden Flüchtlingsströme aus Syrien und anderen Konfliktregionen hat der frühere türkische Staatschef Abdullah Gül die Einwanderungspolitik der Europäischen Union scharf kritisiert. "Man hört oft, dass Europa ein globaler Akteur sein will. Dann muss es sich auch wie ein globaler Akteur verhalten", sagte Gül der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwochsausgabe). Im Nahen Osten würden Staaten wie Syrien, der Irak und Jemen zerfallen und sich selbst zerstören, dort spielten sich "unendlich viele menschliche Dramen" vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab. Angesichts dieser "Schande der Menschheit" könne die EU nicht länger so tun, als ginge sie das nicht viel an, forderte Gül. "Europa muss hier zeigen, dass es Verantwortung übernimmt, hilft, Flüchtlinge aufnimmt." Europa müsse langfristig denken, müsse sich fragen, was es in 50 Jahren sein wolle, betonte Gül. "Nur wer jetzt agiert, wird dann stark sein." Wer jetzt nicht handle, werde früher oder später selbst von den Problemen getroffen, das zeigten die Flüchtlingsströme deutlich. Türkei hat zwei Millionen Syrer aufgenommen Die EU-Staaten streiten seit Wochen über eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen. Insbesondere wegen des Bürgerkriegs in Syrien ist die Zahl der Menschen, die in Europa Zuflucht suchen, massiv gestiegen. Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkriegs vor mehr als vier Jahren bereits mehr als zwei Millionen Syrer aufgenommen. Mit Kritik und Unverständnis reagierte Gül auch auf die Tatsache, dass die EU offenbar kein großes Interesse mehr habe, die Türkei aufzunehmen. "Ich bedauere besonders, dass die EU in der Türkei keinen strategischen Gewinn, keinen zentralen Partner sieht", sagte der türkische Ex-Präsident der "SZ". Er halte dies "für einen schweren Fehler". "Eine EU mit einem islamischen Mitgliedsland - das würde großen Widerhall auf der ganzen Welt finden", warb der Politiker, der nach dem Ende seiner Amtszeit wieder in die regierende AKP eingetreten ist. Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei wäre aus seiner Sicht "eine großartige Botschaft und in der krisenhaften Situation unserer Zeit eine historische Leistung". Sorgen bereitet Gül der Konflikt des Westens mit Russland. Die Annexion der Krim durch Russland sei ein großes Problem; inzwischen gäbe es die schärfsten Spannungen seit dem Fall der Mauer. "Man muss von einem Zweiten Kalten Krieg sprechen", urteilte Gül. Er warnte davor, zu hart zu reagieren: "Man sollte Entschlossenheit zeigen, aber nicht provozieren, nicht dauernd neue Vorwürfe machen." Außerdem stelle sich die Frage, ob "Wirtschaftssanktionen das bringen, was man sich erhofft". (APA/AFP)
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