Neue Zürcher Zeitung, 09.07.2015 http://www.nzz.ch/international/amerika/nur-60-syrische-rebellen-werden-ausgebildet-1.18576848 Peinliches Eingeständnis in Washington Nur 60 syrische Rebellen werden ausgebildet Die Strategie der USA für den Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien krankt daran, dass sie das Asad-Regime ausblendet. Darunter leidet auch das Programm zur Ausbildung gemässigter Rebellen. von Peter Winkler, Washington Manche haben sich etwas gewundert, warum Präsident Barack Obama nach seinem Besuch im Pentagon am Montag vor die Mikrofone getreten ist. Neues zur amerikanischen Kampagne gegen den Islamischen Staat (IS) hatte er nicht zu verkünden. Es werde ein langer Kampf, wiederholte er, und man werde in Zukunft mehr tun, um lokale Verbündete auszurüsten und auszubilden. Verteidigungsminister Ashton Carter lüftete in einer Anhörung vor der Militärkommission des Senats am Dienstag den Schleier: Die USA haben bisher nur 60 syrische Oppositionelle gefunden, die geeignet und willens sind, am Ausbildungsprogramm teilzunehmen. Abschreckende Auflagen Verteidigungsminister Carter machte gar nicht erst den Versuch, diese Peinlichkeit schönzureden. Schliesslich hatte die Regierung Obama im letzten September vollmundig erklärt, ihr Ziel seien über 5000 ausgebildete Kämpfer bis im Mai 2015 und rund 15 000 innerhalb dreier Jahre. Carter sprach zwar davon, es seien 7000 Kandidaten für das Ausbildungsprogramm identifiziert worden. Doch auch der Chef des Pentagons weiss, dass diese Zahl noch gar nichts heisst. Das Problem ist nämlich, dass die Auflagen, an welche Washington eine Teilnahme knüpft, Interessierte eher abschreckt als anzieht. Dass ihr persönlicher Hintergrund durchleuchtet wird, um spätere Angriffe auf die amerikanischen Instruktoren möglichst zu verhindern, ist nachvollziehbar. Ebenso, dass sie sich verpflichten sollen, die Regeln des Kriegs- und des humanitären Völkerrechts zu respektieren. Niemand hat Interesse daran, Schlagzeilen über Kriegsgreuel zu sehen, die von Kämpfern mit amerikanischem Kriegsgerät und amerikanischer Ausbildung im Gepäck verübt wurden. Doch schon die Bedingung, dass sie auf den Kampf gegen das verhasste Asad-Regime verzichten, das den ganzen Schlamassel in Syrien angerichtet hat, und sich auf Angriffe auf den IS beschränken sollen, ist für syrische Oppositionelle eine bittere Pille. Schon ihr Name macht klar: Sie stehen in erster Linie in Opposition zum Regime in Damaskus. Keine Hilfezusage Senator John McCain, der Vorsitzende des Militärausschusses, hat dem Verteidigungsminister schliesslich jene Aussage entlockt, die das Fass für interessierte syrische Rebellen endgültig zum Überlaufen bringen dürfte. Die Amerikaner, gestand er auf Nachfrage ein, hätten den Kämpfern, die sie ausbildeten, nicht zusagen können, dass sie im Fall eines Angriffs durch die Streitkräfte des Asad-Regimes amerikanische Unterstützung, beispielsweise mit Luftangriffen, erhalten würden. Auch im Irak kommt die Ausbildung von lokalen Verbündeten – dort geht es um die regulären Streitkräfte und sunnitische Milizen – nur stockend voran. Deshalb spielen die kurdischen Kämpfer als Speerspitze der Amerikaner eine Schlüsselrolle in der Strategie Washingtons. In Syrien waren die kurdischen Volksverteidigungseinheiten in erster Linie dafür verantwortlich, dass der IS bei Tell Abiad von wichtigen Nachschublinien an der türkischen Grenze abgeschnitten werden konnte, und es gibt Anzeichen dafür, dass sie auch die letzte grosse Lücke um die Grenzstadt Jarabulus zu schliessen versuchen. Befreier oder Besetzer? Das Vorrücken der Kurden macht allerdings die Türkei nervös, die sich kurzfristig vor einem neuen Flüchtlingsstrom aus Syrien fürchtet und längerfristig den Aufbau eines kurdischen Staats an ihrer Südgrenze verhindern will. Die Berichte mehren sich, dass auch die syrischen Araber und andere Minderheiten in der Region die Kurden keineswegs als Befreier begrüssen, sondern ihnen vielmehr unterstellen, sie wollten sich ihre Siedlungsräume einverleiben. Die Verhältnisse unter den Volksgruppen in der Region sind so alt wie kompliziert; in der jahrhundertealten Geschichte findet jede Gruppe gute Gründe, der anderen zu misstrauen oder etwas nachzutragen. Ähnlich wie im Irak, wo das Abstützen auf schiitische Milizen die Sunniten dem IS in die Arme zu treiben drohte, könnte auch der Erfolg der Kurden in Syrien dazu führen, dass sich andere Ethnien am Ende vor die Wahl zwischen zwei Übeln gestellt sehen.
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