Der Standard, 15.07.2015

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Iran-Deal: Für die einen Hoffnung, für die anderen Bedrohung

Gudrun Harrer

Die arabischen Golfstaaten befürchten eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses im Nahen Osten

Abgesehen von den kurzfristigen Auswirkungen, die ein Atomdeal auf das iranische Atomprogramm – dessen Einhegung – und auf die iranische Wirtschaft – die Befreiung von den Sanktionen – haben wird, ist eine der großen Fragen, ob er wirklich der Auftakt zu großen strategischen Veränderungen im Nahen Osten werden könnte. Was für die einen eine positive Aussicht ist, ist für die anderen allerdings eine gefährliche Drohung. Eine "konstruktive Rolle" des Iran in der Region – so ist das US-Wording – würde die Rolle der arabischen Partner am Persischen Golf schmälern, ist die Sorge.

Größer als die Angst vor dem Atomprogramm ist, dass der Iran, wenn er einmal von den Sanktionen befreit ist, einen wirtschaftlichen Aufstieg hinlegt, der ihn zum unbestrittenen Hegemon in der Region befördert, der gleich bei mehreren Parametern die anderen Länder hinter sich lässt, etwa bei der Größe der Bevölkerung, aber auch bei deren Ausbildung.

Bruch des Bündnisses

Die arabischen Golfstaaten sehen das neue Interesse der USA am Iran als Bruch eines Bündnisses, das seit 1979, dem Jahr der Islamischen Revolution im Iran, ohne Alternative war. Und sie haben zumindest so weit recht mit dieser Einschätzung, als für die USA die Zeiten vorbei sind, in denen das Prinzip galt: Öl auf der einen, strategische Zusammenarbeit und Waffen auf der anderen Seite – und was ihr sonst macht, interessiert uns nicht.

Das Ende dieser Ära wurde bereits mit 9/11 dramatisch eingeläutet. Die Entwicklungen im Irak nach 2003, aber besonders in Syrien und den Ländern des "Arabischen Frühlings" nach 2011 lastete Washington nicht nur, aber auch der aktiven und passiven Unterstützung des sunnitischen Radikalismus durch die arabischen Golfstaaten seit Jahrzehnten an.

Islamisten im Kalten Krieg

Dass die USA selbst lange bei diesem Spiel mitgemacht haben – zum Beispiel in den 1980er-Jahren in Afghanistan gegen die sowjetische Besatzung – und deshalb von vielen Menschen im Nahen Osten für den Aufschwung der Radikalen zumindest mitverantwortlich gemacht werden, steht auf einem anderen Blatt.

Die Atomverhandlungen mit dem Iran wurden just im Herbst 2013 aufgenommen, als der "Islamische Staat" (IS) bereits Teile Syriens kontrollierte und in der westirakischen Provinz Anbar vorzurücken begann. Dass der Aufstand in Syrien schon relativ bald nach seinem Ausbruch konfessionelle Züge zeigte, warf die US-Strategie für Syrien komplett über den Haufen. Hatte US-Präsident Barack Obama schon in einer frühen Phase den Abtritt des Regimes von Bashar al-Assad gefordert und 2013 mit Militärschlägen gegen das Regime gedroht, so griffen die USA im Sommer 2014 dann nicht etwa gegen Assad, sondern gegen den IS ein.

Sturz Assads keine US-Priorität mehr

Der Sturz Assads, der auf der saudischen Agenda ganz oben steht, bleibt zweifellos ein Wunsch in Washington, hat aber – angesichts der Alternativen, was aus Syrien werden könnte – keine Priorität mehr. Auf der anderen, der iranischen Seite gibt es Anzeichen dafür, dass die Unterstützung für Assad von weniger Enthusiasmus getragen ist als früher – auch wenn sie angesichts der sich verschlechternden Lage des Regimes weiterläuft.

Iranische Stellungnahmen differieren häufig je nachdem, ob sie für "home consumption" oder außerhalb bestimmt sind. Dennoch ist es bemerkenswert, dass Vizeaußenminister Hossein-Amir Abdollahian kürzlich auf CNN davon sprach, dass ein Atomdeal zu mehr "engagement and interaction" zwischen dem Iran und den USA führen könnte – und dass der Iran nicht für den ewigen Verbleib Assads eintrete.
Anerkennung der Rolle Irans

Für die Bekämpfung des IS im Irak würde eine Normalisierung zwischen den USA und Iran neue Möglichkeiten eröffnen – wobei das Problem der schiitischen Milizen, die den IS zwar bekämpfen, aber gleichzeitig durch den eigenen Konfessionalismus die sunnitische Bevölkerung dem IS wieder in die Armee treiben, damit jedoch nicht gelöst wäre. Überhaupt sind Diskrepanzen in der Wahrnehmung zu erwarten: Der Iran sieht den Neubeginn als Anerkennung seiner Rolle in der Region, die USA erwarten, dass der Iran diese Rolle modifiziert.

Sunnitische Ablehnung

Und selbst wenn dies der Fall wäre, würde die Dividende ohne arabisch-sunnitische Akzeptanz ausbleiben. Ein Beispiel dafür wäre etwa im Libanon die seit mehr als einem Jahr überfällige Präsidentenwahl im Parlament, die nur gelingen kann, wenn sich alle Gruppen – die vom Iran, aber auch die von Saudi-Arabien gestützten – einigen.

Das gilt auch für die Situation im Jemen, wo der Konflikt zwischen den schiitischen – man könnte auch sagen: schiitisierten, denn die Zaiditen stehen dogmatisch der im Iran überwiegenden Zwölferschia nicht so sehr nahe – Huthis und der von Riad gestützten, weiterhin exilierten Regierung völlig feststeckt. (Gudrun Harrer, 15.7.2015)