welt.de, 16.07.2015

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Nach Atomdeal

"Wir müssen der Jugend des Iran Perspektiven eröffnen"

Kommt der Atom-Deal durch den US-Kongress? Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Niels Annen, ist gerade in Washington und beobachtet die Debatte – und sieht eine neue Rolle für Deutschland. Von Daniel-Dylan Böhmer

Deutschland hat den Atom-Deal mit dem Iran mit ausgehandelt. Ganz gleich, ob das Abkommen ein Erfolg wird oder ob die Risiken überwiegen – die Bundesrepublik hat Nahostgeschichte mitgeschrieben. Soll Berlin das jetzt öfter tun? Und welche Chancen hat der Deal überhaupt, die Zustimmung des US-Kongresses zu bekommen? Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, ist gerade in Washington und erlebt den Streit um den Deal hautnah mit.

Die Welt: Herr Annen, nach dem Abkommen vom Dienstag muss der Iran seine Urananreicherung und Atomforschung für zehn Jahre einschränken. Heißt das, die iranische Bombe ist lediglich um eine Dekade verschoben?

Niels Annen: Nein, Teile der Vereinbarung gelten für 25 Jahre, insbesondere die Kontrollen, die der Iran in seinen Anlagen zulassen muss. Das Land kann nun das Recht wahrnehmen, das ihm der Atomwaffensperrvertrag zugesteht – die Anreicherung von Uran für zivile Zwecke. Aber das basiert nicht auf neu gewonnenem Vertrauen, sondern auf den Verifizierungsmöglichkeiten, die nun festgeschrieben wurden. Durch sein Verhalten in der Vergangenheit hat das Land viel Vertrauen zerstört. Die Hoffnung ist nun, dass es in den nächsten zehn Jahren wieder aufgebaut werden kann. Und dass Kräfte im Iran gestärkt werden, die mit der internationalen Gemeinschaft grundsätzlich mehr ins Gespräch kommen wollen.

Die Welt: Ist die Verifizierbarkeit denn noch glaubwürdig, wenn jeweils 24 Tage vergehen, bis die Internationale Atomenergiebehörde iranische Militäranlagen besichtigen darf?

Annen: Die Verhandlerstaaten haben lange gerungen. Die Lösung ist ein Kompromiss. Sicher kann man sich noch bessere Inspektionen wünschen. Aber bedenken Sie auch, dass der Oberste Geistliche Führer des Iran (Link: http://welt.de/themen/iran-politik) die Kontrolle von Militäranlagen eigentlich kategorisch ausgeschlossen hatte. Da hat sich der Iran klar bewegt. Und wenn Verstöße festgestellt werden, treten die Sanktionen automatisch wieder in Kraft. Weil der Iran seine Anreicherungskapazitäten und seine Uranvorräte reduzieren muss, bleibt der internationalen Gemeinschaft immer noch ein Jahr Zeit, über neue Schritte zu beraten, bevor das Land eine Nuklearwaffe bauen kann.

Die Welt: Aber bevor das Abkommen gilt, muss es den amerikanischen Kongress passieren. Sie sind gerade in Washington. Wie sehen Sie die Chancen, das der Deal durchkommt?

Annen: Das wird sicher ein harter Kampf für Obama. Im Senat könnte er eine Mehrheit finden, im Repräsentantenhaus sehe ich dagegen keine Chance. Aber in seiner Rede zum Atomabkommen hat Obama dem Kongress ja schon die Instrumente gezeigt. Im Zweifel wird er sein präsidiales Veto verwenden, um eine Umsetzung der Vereinbarung zu erzwingen. Dass es eine Zweidrittelmehrheit gibt, die den Widerspruch des Präsidenten überstimmt, halte ich für wenig wahrscheinlich. Ein demokratischer Abgeordneter hat mir gerade erklärt, natürlich sei es kein perfekter Deal, aber man habe ihn machen müssen, weil die einzige Alternative dazu Krieg gewesen wäre.

Die Welt: Kann man denn verhindern, dass der Iran sein neues Gewicht und die zusätzlichen Ressourcen dafür nutzt, die Konfrontation mit seinen Gegnern im Nahen Osten zu verstärken?

Annen: Nein, das kann man nicht verhindern, und das ist bei den Kritikern des Deals hier in den USA ein häufig vorgebrachtes Argument. Das Geld, das jetzt frei wird, gibt Teheran doch sowieso an die Hisbollah-Miliz im Libanon und Syrien weiter, sagen sie. Dann stelle ich die Gegenfrage: Hat denn das beispiellose Sanktionsregime der letzten Jahre den Iran daran gehindert, solche Akteure zu unterstützen? Überall im Nahen Osten ist der Iran heute stärker als vor der US-Intervention im Irak 2003. In diesem Nachbarland hat er das Machtvakuum nach dem Abzug der Amerikaner gefüllt, er hat an Einfluss in Syrien (Link: http://welt.de/themen/syrien-krise) und Palästina gewonnen. Und die Führung hat ihre Machtpolitik auch auf Kosten des Wohlergehens der Bürger verfolgt. Die Sanktionen haben den Iran nicht gestoppt. Also müssen wir einen anderen Weg beschreiten: die Stärkung von Kräften innerhalb des Landes, die für Stabilität und Ausgleich mit den Staaten der Region eintreten. Nur so können wir auch die Sicherheitsinteressen Israels und der arabischen Golfstaaten befriedigen. Der Iran hat eine junge, für nahöstliche Verhältnisse sehr prowestlich eingestellte Bevölkerung. Dieser Generation müssen wir Perspektiven eröffnen.

Die Welt: Der jetzige Verhandlungserfolg wurde in einem einzigartigen Format erreicht: Die fünf Vetomächte im Sicherheitsrat haben gemeinsam mit Deutschland mit dem Iran verhandelt. Wäre dieses Format auch auf andere Konflikte anwendbar?

Annen: Das Vertrauen, das hier aufgebaut wurde, sollte jetzt genutzt werden, zum Beispiel in Syrien. Wir Außenpolitiker der SPD haben ja schon lange gefordert, den Iran einzubinden bei dem Versuch, den syrischen Bürgerkrieg zumindest zu beruhigen. Ohne Teheran, den Hauptverbündeten des syrischen Diktators Assad, geht das gar nicht. Aber erst mal müssen wir die Ratifizierung und Umsetzung der Vereinbarung von gestern abwarten. Und wir müssen sehen, wie die innenpolitischen Auseinandersetzungen um den Deal in Amerika und dem Iran selbst verlaufen. Schließlich müssen auch die arabischen Golfstaaten besänftigt werden, bei denen die Einigung Besorgnis erregt. Vorher ist der Deal kein Erfolg. Bei der Anwendung des Verhandlungsformats auf andere Konflikte – etwa den Jemen – wäre ich skeptisch. Jedes Problem hat seine Besonderheiten.

Die Welt: Hat Deutschland wirklich eine bedeutende Rolle bei den Gesprächen gespielt?

Annen: Das E3+3-Format – die drei europäischen Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die drei Sicherheitsratsmächte USA, Russland, China – ist ungewöhnlich. Schließlich sitzen wir als Einzige nicht im Sicherheitsrat. Dieses Modell geht auf eine deutsche Initiative zurück. Überhaupt hat sich die Bundesrepublik zum Atomstreit mit dem Iran besonders engagiert, schon unter Joschka Fischer. Frank-Walter Steinmeier (Link: http://www.welt.de/themen/frank-walter-steinmeier/) hat geholfen, wahre Wackersteine aus dem Weg zu räumen. Wir konnten Dinge vorschlagen, die anderen nicht möglich waren. Allein, dass sich ein amerikanischer Außenminister und einer aus dem Iran an einen Verhandlungstisch setzen, kommt ja einer De-facto-Anerkennung der Islamischen Republik gleich. Für die Amerikaner war das ein gewaltiger Schritt, der durch Vermittlung anderer leichter wurde.

Die Welt: Könnte Deutschland auch in Zukunft eine wichtigere Rolle im Nahen Osten spielen?

Annen: Wir sind schon jetzt deutlich engagierter als in den letzten Jahren. In Israel und den palästinensischen Gebieten sind wir schon lange aktiv, wenn auch nicht immer im Rampenlicht. Die Zeiten, wo wir glauben konnten, der Nahe Osten habe nichts mit uns zu tun, sind vorbei. In meiner Heimatstadt Hamburg haben wir allein in den letzten Tagen 300 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Die zerfallenden Staaten in Nahost bedrohen auch unsere Stabilität. Wir werden kein machtpolitischer Akteur in der Region werden, aber wir müssen uns stärker engagieren – diplomatisch und mit viel Kreativität wie im Fall des Iran, humanitär wie es in Jordanien mit seinen vielen syrischen Flüchtlingen notwendig ist. Aber auch militärisch müssen wir häufiger einen Beitrag leisten, etwa mit Ausstattungshilfen wie den Waffen für die Kurden im Irak. Das öffentliche Echo auf diese Entscheidung im vergangenen Jahr zeigt ja, dass die Bevölkerung diese Notwendigkeit auch sieht.

Die Welt: Und was ist mit unserer Verantwortung Israel gegenüber?

Annen: Wir tun auch unabhängig vom Thema Iran alles uns Mögliche, um Israels Sicherheitsbedenken zu berücksichtigen. Natürlich äußert sich Israel jetzt sehr kritisch zu der Einigung mit Teheran. Iran am Bau einer Atombombe zu hindern ist ein großer Beitrag zur Sicherheit Israels. Netanjahus Kritik (Link: http://www.welt.de/143988034) kann ich daher nicht nachvollziehen.