Der Standard, 17.07.2015

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US-Abschied von der Iran-Eindämmung

Analyse | Gudrun Harrer

Das Atomprogramm war ein probates Mittel, den Iran zu isolieren, nachdem die USA mit Saddam Hussein Teherans Feind beseitigt hatten

Wien – Aus Sicht der saudischen Führung bringt die Nahostpolitik von US-Präsident Barack Obama ähnliche Resultate wie jene von George W. Bush – obwohl sie doch grundverschieden sind. Bush hat nach 9/11 den Iran auf die "Achse des Bösen" gesetzt, und das war Riad nur recht, das aufgrund der Tatsache, dass der Großteil der 9/11-Attentäter aus Saudi-Arabien kam, mit Imageverlust kämpfen musste. Aber dann marschierten 2003 US-Truppen im Irak ein und stürzten Saddam Hussein.

Damit befreiten sie nicht nur den Irak von einem Diktator, sondern auch die Islamische Republik Iran von ihrem verbissensten Feind. Die US-Politik des "double containment" von Irak und Iran war zu Ende: Es war zwar nicht geplant gewesen, die "Eindämmung" des Iran aufzugeben, im Gegenteil, man gedachte, ihm mit einem mit dem Westen befreundeten neuen Irak zuzusetzen (wie auch Syrien in die Zange zu nehmen). Aber bekanntlich wurde aus dem Irak ein Bürgerkriegsland mit Auflösungserscheinungen, in dem der Iran mühelos seinen Einfluss auf schiitische Gruppen ausspielen und eine größere Machtbasis als die USA aufbauen konnte. Und ein paar Jahre später konnte der Iran sogar behaupten, dass ohne seine Unterstützung Bagdad bereits an den "Islamischen Staat" gefallen wäre.

"Den Wölfen" ausgeliefert

Dass Obama 2011 die US-Truppen aus dem Irak abzog – und damit, wie es der kürzlich verstorbene langjährige irakische Außenminister und Vizepremier Tariq Aziz sagte, Irak "den Wölfen" auslieferte – ist ein republikanischer Propagandahit. Tatsache ist, dass bereits Bush 2008 den Abzug von 2011 mit der irakischen Regierung ausgehandelt hatte. Obama hätte Truppen im Irak gelassen, wenn Premier Nuri al-Maliki nicht die Forderungen nach den Immunitäten für die US-Militärs zurückgewiesen hätte (was auch kein anderer US-Präsident akzeptiert hätte).

Für die sunnitischen arabischen Golfstaaten war der Irak strategisch verloren – und die Förderung der schiitischen Identität des Landes durch die Regierungen Ibrahim al-Jafari und Maliki entfremdete nicht nur die sunnitischen Teile der Bevölkerung, sondern auch die Nachbarregierungen – alle bis auf den Iran.

Die Regierung Obama hat nun laut Meinung der Saudis all dies anerkannt und institutionalisiert. Die "Befreiung" des Iran von Saddam Hussein fiel mit dem beginnenden Streit um das iranische Urananreicherungsprogramm zusammen – eine Möglichkeit, den Iran politisch zu isolieren, die auch genützt wurde. Wenn der Atomdeal, wie er am Dienstag in Wien abgeschlossen wurde, funktioniert, dann ist es damit vorbei – und das Schlimmste für Riad ist, dass es sich dabei um das wichtigste außenpolitische Projekt der Obama-Regierung handelt.

Palästinenserfrage

In nichts anderes hat diese so viel Schweiß investiert: Zwar hat Obama seinen Außenminister John Kerry auch testen lassen, ob Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern Sinn machen, er hat diese heiße Kartoffel aber auch relativ schnell wieder fallen lassen. Die Palästinenser- beziehungsweise Israel-Frage ist für Saudi-Arabien auch deshalb so unangenehm, weil es dem Iran seit Jahrzehnten gelingt, sie zu einer islamischen zu machen und dabei die Führungsrolle im "Widerstand" – mit der Unterstützung von Hamas und Hisbollah – zu beanspruchen. Iran hat Palästina den Arabern weggenommen. Nur eine umfassende israelisch-arabische Normalisierung könnte das Problem lösen – und die USA tun nichts dafür, beklagt die saudische Führung.

Wie alle Gegner des Deals hat Saudi-Arabien starke Zweifel daran, ob er zu einer konstruktiveren iranischen Rolle führt: In Teheran werde er eher als Bestätigung der iranischen Rolle interpretiert werden. Das heißt, mit saudischer Kompromissbereitschaft in den Stellvertreterkonflikten in Syrien, Jemen, Irak und Libanon ist ebenfalls erst einmal nicht zu rechnen.

Saudi-Arabien liest Obamas Bestreben, mit Teheran ins Geschäft zu kommen als US-Abkehr von einem alten Bündnis, als – im besten Falle – Übergang zu einer neutraleren Rolle im Nahen Osten und im Kalten Krieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Die Region – und ihre Öl- und Gasvorkommen – sind noch immer strategisch wichtig, aber sie verlieren an Bedeutung. Und auch damit hat der Iran-Deal zu tun: Wenn die Amerikaner und Europäer in Teheran ein- und ausgehen, ist dort weniger Platz für die Chinesen. (Gudrun Harrer, 17.7.2015)